Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsweg. Härteausgleich nach HHG Leistungsausschluß. HHG. Bindung an Strafzumessung des Strafgerichts

 

Leitsatz (amtlich)

1. Steht die Gewährung von Härteausgleich nach § 12 HHG im Streit, ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben, wenn auf diesem Weg Leistungen im Sinne des § 4 HHG beansprucht werden.

2. In Fällen des § 12 HHG kommt dem Erfordernis der Herstellung des Einverständnisses zwischen dem federführenden Bundesministerium und der obersten Landesbehörde nur interne Bedeutung zu. Die anfechtbare Entscheidung ist von den für die Kriegsopferversorgung zuständigen Behörden zu erlassen und von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist ggf. das mangelnde Einverständnis zu ersetzen.

3. Bei der Berechnung der zum Ausschluß von Leistungen führenden Dauer der Freiheitsstrafen im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 3 HHG sind die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit an die Strafzumessungsentscheidung der Strafgerichte auch dann gebunden, wenn letztere erst nachträglich eine niedrigere Gesamtstrafe bilden.

4. Die Versorgungsverwaltung hat mit dem Eingang der Anweisung der obersten Landesbehörde, eine Rücknahmeentscheidung für die Vergangenheit zu treffen, Kenntnis von den die Entscheidung rechtfertigenden Zuständen im Sinne des § 48 Abs. 4 i.V.m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB 10 erhalten. Dies gilt selbst dann, wenn die oberste Landesbehörde die irrige Auffassung vertritt, daß aus rechtlichen Gesichtspunkten ein entsprechender Verwaltungsakt nicht umgehend erlassen werden müsse.

5. Die Mitteilung der vorläufigen Einstellung der Auszahlung von Leistungen nach § 2 Abs. 5 HHG stellt keinen hinreichend begründeten Verwaltungsakt im Sinne von § 48 SGB 10 dar.

6. Im Falle des nachträglichen Leistungsausschlusses wegen Eintritts der Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 3 HHG können keine Leistungen im Wege des Härteausgleichs weitergewährt werden.

 

Normenkette

HHG §§ 2, 4; SGB X §§ 12, 48

 

Verfahrensgang

SG Wiesbaden (Entscheidung vom 23.08.1994; Aktenzeichen S-6/V-417/93)

 

Tenor

Auf die Berufungen der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 23. August 1994 sowie der Bescheid des Beklagten vom 30. Juni 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. November 1992 abgeändert. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Versorgungsleistungen in dem im Bescheid vom 9. Januar 1984 festgestellten Umfang bis zum 31. Juli 1992 auszuzahlen.

Im übrigen werden die Berufungen zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreites zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Gewährung von Leistungen nach dem Gesetz über Hilfsmaßnahmen für Personen, die aus politischen Gründen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland in Gewahrsam genommen wurden (Hälftlingshilfegesetz –HHG–).

Der am 22. Oktober 1932 in Belgrad geborene Beschädigte, der am 4. November 1994 verstarb und dessen Ehefrau als seine Erbin den Rechtsstreit fortführt, lebte mindestens zwischen 1962 und 1970 in der Bundesrepublik Deutschland. Am 5. Mai 1968 wurde der Beschädigte vom Landgericht Verden wegen gemeinschaftlichen Betruges zu zwei Jahren und acht Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. 1974 wurde der Beschädigte in dem ehemaligen Jugoslawien verhaftet und durch das Kreisgericht Rijeka zu acht Jahren Zuchthaus wegen Spionage zugunsten des Westens verurteilt. Er befand sich daraufhin vom 19. September 1974 bis 17. September 1982 in den Zuchthäusern Lepoglava und Stara Gradiska in Gewahrsam. Durch Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 des HHG erkannte der Regierungspräsident in Darmstadt diese Zeit der Inhaftierung als politischen Gewahrsam im Sinne der §§ 1 Abs. 1 und 1 Abs. 5 HHG an. Nach seiner Entlassung siedelte der Beschädigte in die Bundesrepublik Deutschland über und beantragte am 13. Dezember 1982 Leistungen nach dem HHG bei dem Beklagten. Er gab an, sich nach fünf Jahren der Haft einer Magenoperation unterzogen haben zu müssen sowie Zähne in der Haft verloren zu haben. Nach medizinischen Ermittlungen, unter anderem der Einholung eines internistischen Gutachtens bei … (Wiesbaden) vom 2. Dezember 1983 und der Beiziehung von eidesstattlichen Versicherungen zweier Zeugen, stellte der Beklagte mit Bescheid vom 9. Januar 1984 als Schädigungsfolgen, hervorgerufen durch schädigende Einwirkungen nach §§ 4 ff. HHG fest: 1. Operation nach Billroth II mit Dumping-Syndrom und 2. Verlust der oberen vier Schneidezähne und des rechten oberen Eckzahnes. Den Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) setzte er mit 40 v.H. fest. Nach der Einholung von Auskünften aus dem Bundeszentralregister stellte der Beklagte fest, daß der Beschädigte am 30. Juli 1985 zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten und am 26. Februar 1986 zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat und zwei Wochen jeweils durch das Amtsgericht Wiesbaden verurteilt worden war. Mit Beschluß vom 16. Oktober 1986, rechtskräftig seit dem 30. Oktober 1986, bildete das Amtsgericht Wiesbaden nachträglich bezüglich dieser...

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