Verfahrensgang

SG Kassel (Urteil vom 27.08.1992; Aktenzeichen S-11/Ar-1125/91)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 27. August 1992 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Es geht in dem Rechtsstreit um die Gewährung von Berufsausbildungsbeihilfe (BAB).

Der am 10. Juli 1968 in Halle/Saale geborene Kläger erlernte vom 1. September 1985 bis 15. Juli 1987 an der Betriebsberufsschule „Fritz Weineck” der VEB-Leuna-Werke „Walter Ulbricht” den Beruf eines Industrieschmiedes und erhielt über den erfolgreichen Abschluß eine Facharbeiter-Urkunde vom 15. Juli 1987. Er arbeitete sodann in diesem Beruf bis 28. Februar 1989.

Am 8. Juni 1990 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von BAB für eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker bei der Firma W. H. in K. für die Zeit vom 1. August 1990 bis 31. Januar 1994. Der Kläger hat die Ausbildung am 21. Januar 1994 erfolgreich beendet. Vom Sozialamt der Stadt Korbach erhielt der Kläger ergänzende Sozialhilfe zu seiner Ausbildungsvergütung.

Mit Bescheid vom 4. September 1990 wies die Beklagte den Antrag ab und begründete dies u.a. damit, daß der Kläger bereits über eine erste abgeschlossene Ausbildung verfüge.

Hiergegen hat der Kläger am 4. Oktober 1990 Widerspruch erhoben und zur Begründung u.a. vorgetragen, die Gleichstellung nach § 108 a Berufsbildungsgesetz (BBiG), der durch den Einigungsvertrag eingeführt worden sei, habe eine Begünstigung derjenigen gewollt, die eine weniger qualifizierte Ausbildung ohne ihr Verschulden in den neuen Bundesländern durchgeführt hätten, jedoch nicht eine Schlechterstellung eines Ausgebildeten, der gerade nicht die Berufschancen wie ein in der Bundesrepublik Ausgebildeter habe. Ausweislich des Lehrvertrages sei die Ausbildung zum Industrieschmied von vornherein auf 22 1/2 Monate festgesetzt worden. Auch hätten inhaltlich der Ausbildung wesentliche Elemente gefehlt, da vorrangig die Produktion berücksichtigt worden sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25. Oktober 1991 hat die Beklagte den Widerspruch zurückgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, bei dem Kläger liege eine abgeschlossene Ausbildung im Sinne § 3 A-Ausbildung vor, weil der Berufsabschluß in einem anerkannten Beruf erworben worden sei. Auf die Dauer und Gleichwertigkeit komme es nicht an. Eine Prüfung im Einzelfall wäre praxisfremd und auch nicht durchführbar.

Hiergegen hat der Kläger am 25. November 1991 Klage erhoben und ergänzend vorgetragen, für den Beruf eines Industrie-Schmiedes gebe es in der Bundesrepublik keinen gleichen oder gleichartigen Beruf, in dem eine Weiterbeschäftigung als Facharbeiter ermöglicht werde. Auch in den neuen Bundesländern sei der Beruf des Industrieschmiedes unterqualifiziert gegenüber vergleichbaren Berufen wie Huf- und Nagelschmied, Kunstschmied, Schlosser usw.. Auch sei die Ausbildung des Klägers in einem wesensfremden Chemiebetrieb erfolgt.

Mit Urteil vom 27. August 1992 hat das Sozialgericht Kassel die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die ab 1. August 1990 begonnene Ausbildung bei der Firma H. BAB in gesetzlicher Höhe zu zahlen. In der Begründung führt es aus, nach § 3 Abs. 1, A-Ausbildung werde BAB grundsätzlich nur für die erstmalige Ausbildung gewährt. Der Ausbildungsbegriff ergebe sich letztlich in Abgrenzung zu den übrigen Bildungsmaßnahmen Fortbildung und Umschulung. Nach § 7 Abs. 2 der Anordnung Fortbildung und Umschulung (AFuU) in der bis zum 31. April 1991 geltenden Fassung liege eine abgeschlossene Berufsausbildung im Sinne § 42 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) nur vor, wenn ein Berufsabschluß in einem nach bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften anerkannten Beruf erworben worden sei, für den die Ausbildungszeit mit mindestens 2 Jahren festgesetzt sei. Zwar habe ausweislich des Lehrvertrages die Ausbildungsdauer 2 Jahre betragen sollen, gleichzeitig sei aber eine Ausbildungsdauer von weniger als 2 Jahren vereinbart worden. Deshalb besitze der Kläger keine abgeschlossene Berufsausbildung. Eine willkürlich entgegen den gesetzlichen Bestimmungen verkürzte Ausbildung könne keine abgeschlossene Berufsausbildung entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen darstellen. Hieran habe auch der mit Wirkung ab 1. Mai 1991 eingefügte § 7 Abs. 2 a AFuU nichts geändert. Zwar läge danach eine abgeschlossene Berufsausbildung im Sinne § 42 AFG auch dann vor, wenn ein Berufsabschluß in einem, in dem in Art. 3 des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 genannten Gebiet, anerkannten Beruf erworben sei, jedoch gelte dies nicht für den Kläger, da es dem Rechtsstaatprinzip des Art. 20 Grundgesetz (GG) widersprechen würde, wenn durch Gesetz rückwirkend in zwar noch nicht abgewickelte, aber doch schon so weit fortentwickelte Sachverhalte eingegriffen würde, daß die zunächst zu fördernde Ausbildung des Klägers durch fehlende Weiterförderung im ganzen entwerte...

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