Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft. geduldeter Ausländer. rechtmäßiger gewöhnlicher Aufenthalt. Aufenthaltsstatus
Leitsatz (amtlich)
1. Der gewöhnliche Aufenthalt eines nur geduldeten Ausländers im Geltungsbereich des SGB 9, dessen Ende unabsehbar ist, ist abweichend vom AufenthG rechtmäßig im Sinne von § 2 Abs 2 SGB 9, wenn der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 AufenthG beantragt hat, der Antrag aber noch nicht rechtskräftig abgelehnt wurde.
2. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit und die Versorgungsverwaltung haben die Voraussetzungen der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 AufenthG in diesen Fällen nicht zu prüfen.
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten auch für das Berufungsverfahren zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50 sowie der Schwerbehinderteneigenschaft nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX).
Der 1940 geborene Kläger stellte am 31. Juli 2006 bei dem Beklagten einen Antrag auf Feststellung einer Behinderung und des GdB nach § 69 SGB IX sowie auf Ausstellung eines Ausweises nach § 69 Abs. 5 SGB IX. Zur Begründung legte er eine Bescheinigung des Augenarztes Dr. C. (A-Stadt) vom 28. Juli 2006 vor.
Der Kläger ist nach seinen Angaben staatenloser Palästinenser und stamme aus Israel. Seit 1994 lebt er in Deutschland, ein Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter wurde 1995 rechtskräftig abgelehnt. Seither ist sein Aufenthalt in Deutschland geduldet. Mit Bescheid vom 5. Mai 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Dezember 2003 verweigerte das Regierungspräsidium E. die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, weil der Kläger seinen Lebensunterhalt nicht aus eigenen Mitteln bestreiten könne. Die Entscheidung wurde durch zwischenzeitlich rechtskräftiges Urteil des Verwaltungsgerichts D. vom 21. Dezember 2004 bestätigt. Am 13. Februar 2005 beantragte der Kläger eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Über den Antrag ist bisher nicht entschieden worden. Der Kläger wurde seitens der zuständigen Ausländerbehörde des F-Kreises mit Schreiben vom 24. März 2009 unter Fristsetzung zur Mitwirkung bei der Passbeschaffung aufgefordert, indem er Nachweise oder Bescheinigungen über seine Identität aus seinem Heimatland beschaffen solle. Hierfür wurde ihm mit Bescheid vom 22. April 2009 eine einmalige Beihilfe nach dem AsylbLG gewährt. Zuletzt fragte die Ausländerbehörde mit Schreiben vom 10. September 2009 beim Kläger nach, welche konkreten Maßnahmen zum Erhalt eines Passes oder zumindest von Identitätspapieren von ihm eingeleitet worden seien, der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sei ohne die Klärung der Identität des Klägers nicht entscheidungsreif. Die Ausreisehindernisse wurden von der Behörde als vom Kläger selbst zu vertreten beurteilt.
Mit Bescheid vom 1. August 2006 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers auf Feststellung eines Grades der Behinderung nach § 69 Abs. 1 SGB IX ab. Der Anspruch auf diese Feststellung setze einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt oder eine Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Geltungsbereich des Gesetzes voraus. Für die Begründung eines Wohnsitzes oder eines gewöhnlichen Aufenthaltes im Bundesgebiet entsprechend dem AufenthG sei bei Ausländern das Vorliegen einer Aufenthaltserlaubnis, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Aufenthaltsgestattung nach § 55 AsylVfG erforderlich. Eine Duldung nach dem AufenthG begründe keinen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt. Eine Entscheidung über den Antrag auf Ausstellung eines Ausweises nach § 69 Abs. 5 SGB IX traf der Beklagte nicht ausdrücklich.
Gegen den Bescheid erhob der Kläger mit Schreiben vom 3. August 2006 Widerspruch und machte geltend, eine Duldung stehe den Voraussetzungen des § 2 SGB IX nicht entgegen, da kein rechtmäßiger Aufenthalt erforderlich sei. An der Duldung werde sich auch in den nächsten Jahren nichts ändern. Den Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. August 2006 zurück. Zur Begründung führte der Beklagte u. a. aus, mit Inkrafttreten des AufenthG seien die Aufenthaltstitel neu geregelt worden. Danach würden ausreisepflichtige (geduldete) Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufentG erhalten. Werde nach neuem Recht keine Aufenthaltserlaubnis, sondern eine Duldung ausgestellt, sei davon auszugehen, dass die vom Bundessozialgericht aufgestellten Kriterien (zukunftsoffener Aufenthalt, unverschuldetes Abschiebehindernis) nicht erfüllt seien. Eine Feststellung nach dem Schwerbehindertenrecht sei aufgrund einer Duldung grundsätzlich nicht mehr zu treffen.
Mit der am 29. September 2006 beim Sozialgericht Gießen eingegangenen Klage hat der Kläger die Feststellung eines GdB von 50 begehrt. Er hat ...