Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft. in Deutschland lebender geduldeter Ausländer. Rechtsstellung nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes
Orientierungssatz
1. Zum Anspruch einer chinesischen Staatsangehörigen, die seit mehr als 5 Jahren in Deutschland lebt und im Besitz einer Duldung ist, auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft (hier: Verlust der linken Hand).
2. Die Rechtsstellung des Personenkreises der in Deutschland lebenden behinderten Ausländer, die nicht über eine Aufenthaltserlaubnis, sondern nur über eine Duldung verfügen, hat sich im Bereich des Schwerbehindertenrechts mit dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes (juris: AufenthG 2004) zum 1.1.2005 zur Überzeugung des Senats nicht geändert.
3. Soweit das BSG in der Entscheidung vom 1.9.1999 (Az: B 9 SB 1/99 R = BSGE 84, 253 = SozR 3-3870 § 1 Nr 1) nicht konkret festgelegt hat, nach welcher Zeit des Aufenthalts der Schutz des Schwerbehindertenrechts greift, so ist dies jedenfalls nach mehr als fünf Jahren der Fall. Es liegt nahe, eine Aufenthaltsdauer in entsprechender Anwendung des § 1 Abs 1 S 1 Nr 1 Opferentschädigungsgesetz (OEG) mit drei Jahren als ausreichend anzusehen (vgl BSG aaO; LSG Berlin-Brandenburg vom 2.6.2009 - L 11 SB 88/09 B).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 20.10.2008 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt auch die der Klägerin im zweiten Rechtszug entstandenen außergerichtlichen Kosten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die am 00.00.1978 geborene Klägerin begehrt die Anerkennung als Schwerbehinderte.
Sie ist chinesische Staatsangehörige und verlor nach ihren Angaben infolge der während eines Gefängnisaufenthalts 2003 in China erlittenen körperlichen Gewalt die linke Hand. Seit Juli 2004 lebt die Klägerin im Bundesgebiet. Sie erhielt zunächst eine Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des ersten Asylverfahrens, welches erfolglos blieb. Ein Folgeantrag wurde mit am 16.07.2008 bestandskräftigem Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 13.09.2007 abgelehnt. Gegenwärtig wird der Aufenthalt der Klägerin gemäß § 60a Abs 2 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz) geduldet. Eine Ausreise nach China ist derzeit aufgrund fehlender Heimreisedokumente nicht möglich. Das zuständige chinesische Generalkonsulat hat bislang auf das Ersuchen der deutschen Behörden auf Ausstellung solcher Dokumente nicht reagiert. Nach Auskunft der Ausländerbehörde ist nicht absehbar, wann mit einer Reaktion gerechnet werden kann.
Am 06.08.2007 beantragte die Klägerin, bei ihr eine Behinderung festzustellen. Dem Antrag lag ein Attest des behandelnden Allgemeinmediziners Dr. E zugrunde, in welchem ein Zustand nach Amputation der linken Hand nach Quetschung beschrieben wird.
Die Versorgungsverwaltung lehnte mit Bescheid vom 10.09.2007, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 28.11.2007 den Antrag der Klägerin ab, weil ihr Aufenthalt im Bundesgebiet lediglich geduldet sei und sie sich damit nicht rechtmäßig im Geltungsbereich des für die Entscheidung maßgeblichen neunten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IX) aufhalte. Dies folge bereits aus der Dauer des bisherigen Verbleibens in der Bundesrepublik Deutschland.
Die Klägerin hat am 05.12.2007 Klage zum Sozialgericht (SG) Münster erhoben, zu deren Begründung sie ausgeführt hat, ihr Aufenthalt sei im Bundesgebiet auf Dauer angelegt. Trotz der Duldung sei ihr der Schwerbehindertenausweis auszustellen.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid vom 10.09.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28.11.2007 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den für sie maßgeblichen GdB ab 06.08.2007 mit 50 festzustellen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das SG hat mit Urteil vom 20.10.2008 den Beklagten antragsgemäß unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide vom 10.09.2007 und 28.11.2007 verurteilt, den GdB ab 06.08.2007 mit 50 festzustellen: Die Klägerin habe Anspruch auf Feststellung eines GdB. Sie erfülle insbesondere auch die in § 2 Abs 2 SGB IX normierte Voraussetzung, ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzes zu haben. Seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe jemand nach § 30 Abs 3 S 2 des ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) dort, wo er sich unter Umständen aufhalte, die erkennen ließen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweile. Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts könne nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), wie sie insbesondere im Urteil vom 01.09.1999 (9 SB 1/99 R in: SozR 3-3870 § 1 Nr 1 = BSGE 84 253, Juris Rn 10) zum Ausdruck komme, nur hinreichend unter Berücksichtigung des Zwecks des jeweils maßgeblichen Gesetzes bestimmt werden. Die Klägerin habe ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des SGB IX im Bunde...