Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziale Pflegeversicherung. Überleitung von Pflegestufen in Pflegegrade. keine Anwendung des § 140 Abs 2 SGB 11, wenn Voraussetzungen einer Pflegestufe erst nach dem 31.12.2016 eintreten. unbegründeter, nach altem Recht gestellter Antrag, über den noch nicht bestandskräftig entschieden ist. keine Behandlung als Antrag nach neuem Recht
Leitsatz (amtlich)
1. Treten die Voraussetzungen einer Pflegestufe nach den Kriterien des alten Pflegeversicherungsrechts erst nach Außerkrafttreten dieses Rechts am 31.12.2016 ein, ist die Überleitungsbestimmung des § 140 Abs 2 SGB XI weder direkt noch analog anwendbar.
2. Ein nach altem Pflegeversicherungsrecht gestellter und bis zum 31.12.2016 unbegründeter Antrag, über den noch nicht bestandskräftig entschieden ist, ist von der Verwaltung und den Gerichten nicht als Antrag nach neuem Recht zu behandeln.
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 8. März 2019 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander Kosten für das Verfahren in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten noch über einen Anspruch der Klägerin auf Pflegegeld gemäß dem Sozialgesetzbuch Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) nach dem Pflegegrad 2 ab 10. Oktober 2017.
Die 1936 geborene Klägerin ist bei der Beklagten in der sozialen Pflegeversicherung pflichtversichert. Bei ihr sind ein Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen B und G anerkannt.
Die Klägerin beantragte, vertreten durch ihren Bevollmächtigten, den 1929 geborenen Herrn C. C., am 12. Oktober 2015 ambulante/teilstationäre Leistungen in Form von Pflegegeld. Als private Pflegeperson wurde Herr C. angegeben, an den mit Antragstellung der Anspruch auf Pflegegeld unter dem Datum 17. Oktober 2015 abgetreten wurde.
Begutachtungen durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Hessen (MDK) am 6. November 2015, 18. Januar 2016 und 22. Februar 2016 scheiterten, weil sich die Klägerin in einer Rehabilitationsmaßnahme befand (Verwaltungsakte [VA] Bl. 23, 27, 31).
Am 4. April 2016 wurde die Klägerin vom MDK in ihrer häuslichen Umgebung begutachtet. Als pflegebegründende Diagnosen hielt der MDK fest: Hirninfarkt, Störungen des Ganges und der Mobilität bei rückläufiger Hemischwäche rechts. Eine eingeschränkte Alltagskompetenz liege nicht vor.
Der MDK kam zu dem Ergebnis, dass der Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege täglich 29 Minuten betrage. Für die hauswirtschaftliche Versorgung sei ein Zeitaufwand von 77 Minuten täglich anzusetzen (VA Bl. 44 R).
Mit Bescheid vom 6. April 2016 lehnte die Beklagte den Antrag auf Pflegeversicherungsleistungen ab. Zur Begründung führte sie aus, dass derzeit keine Pflegestufe bei der Klägerin vorliege. Der Zeitaufwand für die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung müsse bei einer Pflege durch einen Familienangehörigen oder eine andere Person, die keine ausgebildete Pflegekraft ist, für die Pflegestufe I mindestens 90 Minuten täglich betragen, wobei hierbei auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen müssten.
Dagegen legte die Klägerin am 14. April 2016 Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, sie könne ihr Gesicht, Hals und Brust nur sehr eingeschränkt selbständig waschen. Die rechte Hand sei nicht einsetzbar, mit der linken Hand sei es für sie als Rechtshänderin sehr schwierig. Ihr falle ständig die Seife aus der Hand, so dass sie mindestens 30 Minuten ohne Zähneputzen und Kämmen benötige. Daher benötige sie Hilfe in Form der vollständigen Übernahme bei der Ganzkörperpflege. Für das Waschen des Oberkörpers und des Unterkörpers benötige sie Hilfe in Form einer Teilübernahme. Die Zahnpflege könne Sie mit der rechten Hand überhaupt nicht durchführen, mit der linken Hand sei es auch nicht einfach. Beim An- und Auskleiden sei mehr als eine Teilübernahme erforderlich, denn sie könne weder Knöpfe noch einen Reißverschluss schließen oder öffnen. Jacken könne sie ohne fremde Hilfe auch nicht anziehen. Beim Treppensteigen benötige sie volle Unterstützung, sie könne zwar alleine laufen, sich aber mit der rechten Hand nicht am Handlauf festhalten.
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens wurde am 6. Juni 2016 eine erneute häusliche Begutachtung durch den MDK vorgenommen. In dem Gutachten vom 9. Juni 2016 hielt der MDK fest, der Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege liege bei 35 Minuten pro Tag. Im Übrigen bestätigte der MDK das Vorgutachten und führte aus, dass die Voraussetzungen der Pflegestufe I nicht erfüllt seien (VA Bl. 69).
Daraufhin wies die Beklagte den von der Klägerin aufrechterhaltenen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20. Oktober 2016 zurück. Zur Begründung führte sie aus, der gesetzlich vorgesehene Hilfebedarf für die Pflegestufe I von mehr als 45 Minuten täglich im Bereich der Grundpflege werde nicht erreicht.
Dagegen hat die Klägerin am 24. November...