Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziale Pflegeversicherung. Systemwechsel zum 1.1.2017. anzuwendendes Recht und Überleitung in die Pflegegrade. Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der Antragstellung. Hinweis- und Beratungspflicht der Pflegekasse

 

Orientierungssatz

1. Mit dem Inkrafttreten des neuen Pflegeversicherungsrechts zum 1.1.2017 wurde ein neuer Begriff der Pflegebedürftigkeit eingeführt. § 140 Abs 1 SGB 11 bestimmt, dass der Zeitpunkt der Antragstellung für den Rechtszustand bei der Entscheidung über einen Leistungsantrag maßgebend ist und danach für einen Antrag, der bis zum 31.12.2016 bei der Pflegeversicherung eingegangen ist, der bis zu diesem Zeitpunkt geltende Rechtszustand auch dann anzuwenden ist, wenn die Verwaltungsentscheidung erst später ergangen ist.

2. Es besteht keine allgemeine umfassende Verpflichtung der Pflegekasse, während eines laufenden gerichtlichen Verfahrens nach altem Recht, den Versicherten zu informieren, dass Personen, die bis zum 31.12.2016 nicht pflegebedürftig nach altem Recht waren, ab 1.1.2017 einen neuen Antrag stellen müssen, wenn sie Ansprüche nach neuem Recht geltend machen wollen.

3. Liegt für die Pflegekasse aufgrund eines Sachverständigengutachtens die Vermutung nahe, dass inzwischen ein leistungsberechtigender Pflegebedarf besteht, so ist sie nach §§ 14, 15 SGB 1 zu einem entsprechenden Hinweis dem Versicherten gegenüber verpflichtet.

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 30. Oktober 2018 geändert und die Klage vollumfänglich abgewiesen.

Kosten sind für das gesamte Verfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung von regelmäßig wiederkehrenden Pflegeleistungen.

Der 1952 geborene Kläger ist bei der Beklagten pflegeversichert. Er wohnt gemeinsam mit seiner Ehefrau, die ihn pflegt, in einem Einfamilienhaus.

Der Kläger stellte am 16. November 2015 bei der Beklagten einen Antrag auf Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung. Die Beklagte beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg (MDK) mit der Erstellung eines auf einer ambulanten Untersuchung des Klägers bei ihm zu Hause beruhenden Gutachtens. In dem Gutachten vom 8. Dezember 2015 ermittelte die Pflegefachkraft Z einen Grundpflegebedarf von 22 Minuten pro Tag (18 Minuten bei der Körperpflege und 4 Minuten im Bereich der Mobilität) sowie im hauswirtschaftlichen Bereich von 45 Minuten pro Tag. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 10. Dezember 2015 Leistungen aus der Pflegeversicherung ab. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 17. Dezember 2015 Widerspruch. Zur Begründung trug er vor, dass seit Januar 2014 bei ihm eine Demenz festgestellt worden sei und seine Frau ihn in der Woche zwei- bis dreimal zu Therapien nach J oder T fahren müsse. Psychisch Kranke erhielten auch ohne Pflegestufe Leistungen der Pflegeversicherung. Die Beklagte beauftragte daraufhin erneut den MDK mit der Erstellung eines Gutachtens auch zu der Frage, ob eine erhebliche Einschränkung der Alltagskompetenz bei dem Kläger vorliege. In dem Gutachten vom 23. März 2016, welches die Pflegefachkraft E nach Aktenlage erstellte, kam diese zu dem Ergebnis, dass der Kläger lediglich einen Hilfebedarf von 22 Minuten pro Tag im Bereich der Grundpflege, 45 Minuten pro Tag im hauswirtschaftlichen Bereich sowie keine erhebliche Einschränkung der Alltagskompetenz habe. Mit Bescheid vom 4. Mai 2016 lehnte die Beklagte die Gewährung zusätzlicher Betreuungs- und Entlastungsleistungen ab. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 20. Mai 2016 Widerspruch ein. Die beiden Widersprüche wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29. Juni 2016 als unbegründet zurück. Die Voraussetzungen zur Gewährung von Leistungen aus der Pflegeversicherung entsprechend einer Pflegestufe lägen nicht vor, weil der Kläger nicht einen täglichen Grundpflegebedarf von mindestens 45 Minuten habe und in der Alltagskompetenz nicht erheblich eingeschränkt sei.

Der Kläger hat sein Begehren mit der am 7. Juli 2016 zum Sozialgericht Potsdam (SG) erhobenen Klage weiterverfolgt. Der Kläger hat zur Begründung seiner Klage ausgeführt, er sei nicht mehr in der Lage ein selbstständiges Leben zu führen und sei auf fremde Hilfe in einem Pflegeumfang von mindestens 45 Minuten täglich angewiesen. Er habe bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung regelmäßig mehrmals die Woche zur Physiotherapie und Wassergymnastik nach Dahme von seiner Frau gefahren werden müssen, so dass diese Zeiten auch im Bereich der Mobilität zu berücksichtigen seien.

Das SG hat Befundberichte der behandelnden Ärzte und Epikrisen von stationären Krankenhausaufenthalten des Klägers eingeholt. Es hat das schriftliche Sachverständigengutachten der Pflegesachverständigen S vom 21. Mai 2017 eingeholt. Die Sachverständige hat aufgrund einer am 24. April 2017 durchgeführten ambulanten Untersuchung beim Kläger zu Hause eine Pflegebedürftigkeit in einem zeitlichen Umfang von 51 ...

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