Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziale Pflegeversicherung. Systemwechsel zum 1.1.2017. anzuwendendes Recht. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch

 

Orientierungssatz

1. Bei einem Eintritt der Pflegebedürftigkeit gemäß §§ 14, 15 SGB 11 erst nach der Rechtsänderung zum 1.1 2017 findet das vor dem 31.12.2016 geltende Recht keine Anwendung. § 140 Abs 2 S 1 SGB 11 knüpft die Geltung alten Rechts daran an, dass Leistungen bis zum 31.12.2016 hätten beansprucht werden können und bewertet nur den Umstand, dass darüber noch keine Entscheidung vorliegt, als unentbehrlich.

2. Ein etwaiger sozialrechtlicher Herstellungsanspruch setzt zumindest eine Hinweispflicht des Pflegeversicherungsträgers im konkreten Fall voraus. Ist der Leistungsträger seiner aus §§ 14, 15 SGB 1 folgenden Hinweispflicht zeitnah nachgekommen, so ist ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch ausgeschlossen.

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt Leistungen der Pflegeversicherung bereits seit Stellung seines ersten Leistungsantrages im Jahr 2015 für die Zeit bis 12. Juni 2018. Die Beklagte gewährt dem Kläger auf eine erneute Antragstellung seit 13. Juni 2018 Leistungen aus der Pflegeversicherung nach dem Pflegegrad 3.

Der am 4. April 1953 geborene verheiratete Kläger ist bei der Beklagten pflegepflichtversichert (Versicherungsnummer: ). Bei ihm sind ein Grad der Behinderung von 100 und die Merkzeichen G, B und seit 20. Oktober 2017 auch die Merkzeichen aG und T festgestellt.

Mit Schreiben vom 22. Oktober 2015 beantragte der im streitgegenständlichen Zeitraum zusammen mit seiner Ehefrau in einem Einfamilienhaus, bei dem sich der Wohnbereich über zwei Etagen erstreckt, lebende Kläger die Gewährung von Pflegegeld für die Pflege durch seine Ehefrau.

Die Beklagte holte daraufhin ein Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit gemäß dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) von dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein. In diesem nach einem Hausbesuch am 29. Oktober 2015 erstellten Gutachten führte die begutachtende Pflegefachkraft Bals pflegebegründende Diagnose eine COPD (chronic obstructive pulmonary disease ≪chronisch obstruktive Lungenerkrankung≫) mit Dyspnoe nach geringster Belastung, Rückenschmerzen, leichte kognitive Funktionseinschränkungen, Lungenemphysem, Zustand nach Spontan-Pneumothorax links 2010, Zustand nach Wirbelkörperfraktur BWK 10/11, operative Therapie 1998, Zustand nach Parotis-Teilresektion 2011, Morbus Dupuytren links und Zustand nach Plattenepithel Karzinom am linken Ohr an. Die Gutachterin beschreibt einen stabilen Allgemeinzustand, einen mäßigen Kräftezustand und einen ausreichenden Ernährungszustand. Beim Duschen benötige der Kläger aufgrund der eingeschränkten Belastbarkeit Hilfe bei der Pflege des Rückens und des Unterkörpers sowie Unterstützung bei der Haarwäsche. Rasur, Kämmen und Toilettengänge könne der Kläger ohne Hilfe verrichten. Bei der Ernährung werde keine Hilfe benötigt. Bei der Mobilität sei zu berücksichtigen, dass er Hilfe beim täglichen Ein- und Ausstieg in bzw. aus der Badewanne benötige. Aufstehen, Zubettgehen sowie Gehen könne der Kläger allein. Auch beim An- und Auskleiden werde keine Hilfe benötigt.

Der MDK stellte letztlich bei dem Versicherten einen Pflegebedarf in der Grundpflege i.H.v. 14 Minuten/täglich (Körperpflege 12 Minuten/täglich für Teilunterstützung beim Duschen und Mobilität 2 Minuten/täglich ≪Transfer beim Ein- und Ausstieg in die Badewanne≫) und in der Hauswirtschaft i.H.v. 43 Minuten/täglich fest. Die Alltagskompetenz sei nicht erheblich eingeschränkt.

Mit Bescheid vom 3. November 2015 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen aus der Pflegeversicherung ab. Zum Zeitpunkt der Begutachtung sei in der Grundpflege im Tagesdurchschnitt ein Hilfebedarf mit einem Zeitaufwand von 14 Minuten und in der hauswirtschaftlichen Versorgung von 43 Minuten ermittelt worden. Damit umfasse der Hilfebedarf der Grundpflege nicht mehr als 45 Minuten am Tag; dies sei jedoch Voraussetzung für die Gewährung von Leistungen nach der Pflegestufe I.

Die vom Kläger bevollmächtigte Ehefrau erhob hiergegen für ihn Widerspruch mit Schreiben vom 3. Dezember 2015, den sie mit Schreiben vom 13. März 2016 begründete. Um die Pflege des Klägers bewerkstelligen zu können, habe sie seit Februar 2016 Urlaub genommen und werde ab 1. April 2016 in den vorzeitigen Ruhestand treten. Der Kläger verfüge nur noch über ein vermindertes Lungenvolumen i.H.v. 24 % und benötige immer wieder kleine Pausen, um Luft zu holen. Sie verabreiche täglich Fußbäder wegen der schmerzhaften Dornwarzen und führe zweimal täglich Klopfmassagen durch. Zweimal wöchentlich fahre sie ihn zur Physiotherapie. Hinzu kämen weitere Fahrten zu Ärzten. Der Kläger sei stark depressiv. Weiter reichte sie ein Pflegetagebuch für den Zeitraum vom 6. bis 13. März 2016 ein.

Die Beklagte veranlasste daraufhin ei...

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