Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen der Aufhebung eines Verwaltungsakts im Überprüfungsverfahren - Zulässigkeit einer auf Neubescheidung gerichteten Verpflichtungsklage

 

Orientierungssatz

1. Gegenstand eines Klageverfahrens gegen eine ablehnende Entscheidung im Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB 10 ist die Rechtmäßigkeit des Überprüfungsbescheides und mittelbar die Rechtmäßigkeit des Ausgangsbescheides.

2. Eine Verpflichtungsklage, die auf Neubescheidung gerichtet ist, ist nur dann statthaft, wenn die ursprüngliche Entscheidung eine Ermessensentscheidung ist.

3. Nach § 42 SGB 10 kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach § 40 SGB 10 nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.

4. Normzweck des § 42 SGB 10 ist es, zu verhindern, dass in den von der Vorschrift erfassten Fällen ein Verwaltungsakt wegen eines Verfahrensfehlers auch dann aufgehoben werden muss, wenn er mit demselben materiell-rechtlichen Ergebnis neu erlassen werden müsste.

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 1. Juni 2015 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Höhe der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung.

Die 1952 geborene und bei der Beklagten seit dem 1. Dezember 2008 versicherte Klägerin ist hauptberuflich selbstständig tätig. Mit Bescheid vom 20. Oktober 2008 setzte die Beklagte unter Zugrundelegung von Bruttoeinkünften der Klägerin i.H.v. 3.404,00 € monatlich den monatlichen Beitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung i.H.v. 468,05 € (monatlicher Beitrag Krankenversicherung: 401,67 €; monatlicher Beitrag Pflegeversicherung: 66,38 €) fest. Nach Vorlage des Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2008 vom 24. Juli 2009 setzte die Beklagte mit Bescheid vom 29. Juli 2009 die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ab dem 1. August 2009 i.H.v. 597,19 € monatlich (monatlicher Beitrag Krankenversicherung: 525,53 €; monatlicher Beitrag Pflegeversicherung: 71,66 €) fest. Der Einkommensteuerbescheid der Klägerin für 2008 wies neben Einkünften aus Gewerbebetrieb i.H.v. 47.924 € negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung i.H.v. 5.616,00 € aus. Nach Vorlage des Einkommensteuerbescheides für 2010 vom 24. Mai 2011 am 31. Mai 2011 (Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. 45.232,00 € nebst negativen Einkünften aus Vermietung und Verpachtung i.H.v. 5.961,00 €) und des Einkommensteuerbescheides für 2009 vom 12. Oktober 2010 am 8. Juni 2011 (Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. 51.969,00 € nebst negativen Einkünften aus Vermietung und Verpachtung i.H.v. 13.631,00 €) setzte die Beklagte mit Bescheid vom 8. Juni 2011 ab dem 1. Juli 2011 die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung i.H.v. 625,55 € monatlich (monatlicher Beitrag Krankenversicherung: 553,16 €; monatlicher Beitrag Pflegeversicherung: 72,39 €) fest. Ab dem 1. Januar 2012 erfolgte durch die Beklagte mit Bescheid vom 12. Dezember 2011 die Beitragsfestsetzung zur Kranken- und Pflegeversicherung nach einem Einkommen i.H. der Beitragsbemessungsgrenze von 3.825,00 € monatlich i.H.v. 644,52 € monatlich (monatlicher Beitrag Krankenversicherung: 569,93 €; monatlicher Beitrag Pflegeversicherung: 74,59 €).

Mit Schreiben vom 28. Februar 2012 stellte die Klägerin bei der Beklagten unter erneuter Vorlage der Einkommensteuerbescheide der Jahre 2007 bis 2010 einen Antrag auf Überprüfung der ergangenen Beitragsbescheide gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X). Zur Begründung wies sie darauf hin, dass diese die negativen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung seit 2007 nicht berücksichtigt hätten. Es müsse seit ihrer Mitgliedschaft bei der Beklagten zudem eine Anpassung ihrer Beiträge an die tatsächlichen Verhältnisse erfolgen, die sich aus den jeweiligen Einkommensteuerbescheiden ergäben. Zu viel gezahlte Beiträge seien ihr zurückzuerstatten. Mit Schreiben vom 28. Februar 2012 wies die Klägerin im Weiteren darauf hin, dass die Beiträge zur Krankenversicherung ab dem 1. Januar 2012 nicht korrekt seien, da der Einkommensteuerbescheid für 2010 ein niedrigeres Einkommen ausweise. Mit Bescheid vom 7. März 2012 nahm die Beklagte eine Korrektur der Beitragsberechnung ab dem 1. Januar 2012 vor, da die Klägerin den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2010 bereits im Mai 2011 eingereicht habe und lehnte eine Beitragskorrektur für die Jahre 2008 bis 2011 ab. Eine Saldierung von negativen Einkünften aus selbstständiger Tätigkeit mit positiven Einkünften aus anderen Einkunftsarten und umgekehrt sei nicht zulässig. Die Klägerin erhob hiergegen mit Schreiben vom 15. März 2012 Widerspruch...

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