Entscheidungsstichwort (Thema)
Absenkung des Arbeitslosengeld II. Verweigerung der Erfüllung in der Eingliederungsvereinbarung festgelegter Pflichten nach § 31 Abs 1 S 1 Nr 1 Buchst b SGB 2 aF. keine analoge Anwendung bei Zuwiderhandlung gegen einen die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt
Leitsatz (amtlich)
In das vom Gesetzgeber als Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums festgelegte Anspruchsniveau darf ohne gesetzliche Grundlage nicht eingegriffen werden. Eine analoge Anwendung der Sanktionsbestimmung des § 31 Abs 1 S 1 Nr 1 Buchst b SGB II in der bis zum 31.3.2011 geltenden Fassung auf ein Zuwiderhandeln gegen einen eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt scheidet aus.
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 28. Februar 2013 aufgehoben. Der Bescheid des Beklagten vom 28. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Mai 2010 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtstreits in beiden Instanzen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines gegen die Klägerin gerichteten Sanktionsbescheides nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).
Die 1968 geborene Klägerin, türkische Staatsangehörige, lebt seit 1. Juli 2000 in A-Stadt. Sie bezieht als Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft vom Beklagten seit dem Jahr 2005 (aufstockend) Leistungen nach dem SGB II. Die zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden Kinder der Klägerin sind in den Jahren 1992, 1993, 1999 und 2004 geboren. Die Klägerin arbeitete im Jahr 2009 12,5 Stunden wöchentlich abends als Reinigungskraft. Zuletzt waren ihr auf den Antrag vom 28. September 2009 mit Bescheid vom 15. Oktober 2009 Leistungen ab 1. November 2009 bis 30. April 2010 bewilligt worden. Nachfolgend ergingen einige Änderungsbescheide betreffend diesen Bewilligungsabschnitt.
Am 18. November 2009 nahm die Klägerin in Begleitung ihres Ehemannes ein Beratungsgespräch beim Beklagten wahr. Bei diesem Gespräch wurde der Versuch unternommen, eine Eingliederungsvereinbarung mit dem Ziel abzuschließen, dass die Klägerin ca. dreimal pro Woche vormittags an einem Integrationssprachkurs an der Volkshochschule (VHS) in B-Stadt teilnehmen sollte. Das Zustandekommen einer entsprechenden Vereinbarung scheiterte jedoch. Der Ehemann der Klägerin machte geltend, seine Frau sei zu alt, um eine Sprache zu lernen. Zum weiteren Inhalt der über die Vorsprache angefertigten Gesprächsvermerke wird auf die Verwaltungsakte verwiesen (Blatt 839, 840).
Mit Bescheid vom 18. November 2009 erließ der Beklagte einen Verwaltungsakt, der die beabsichtigte Eingliederungsvereinbarung inhaltsgleich ersetzte. Der Bescheid enthält eine ausführliche Rechtsfolgenbelehrung zu den Folgen einer Verletzung von Pflichten aus der Eingliederungsvereinbarung und den möglichen Sanktionen.
Gegen diesen Verwaltungsakt legte die Klägerin am 3. Dezember 2009 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 2. März 2010 zurückgewiesen wurde. Hiergegen erhob die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Wiesbaden (Aktenzeichen: S 12 AS 306/10). In der mündlichen Verhandlung vom 28. Februar 2013 erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit bezüglich des Bescheides vom 18. November 2009 in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt.
Da die Klägerin nicht, wie ihr durch den Bescheid vom 18. November 2009 aufgegeben worden war, dem Beklagten bis zum 15. Dezember 2009 eine Anmeldebestätigung zum VHS Sprachkurs im Januar 2010 vorlegte, erließ der Beklagte am 28. Januar 2010 einen Sanktionsbescheid gemäß § 31 SGB II, mit welchem der der Klägerin zustehende Anteil des Arbeitslosengeldes II für die Zeit vom 1. Februar 2010 bis 30. April 2010 monatlich um 30 v. H. der maßgeblichen Regelleistung (96,90 €) abgesenkt wurde. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Klägerin habe sich bis zum 20. Januar 2010 nicht bei der Volkshochschule gemeldet. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein und trug vor, sie sei vor Erlass des Sanktionsbescheids nicht angehört worden und eine Teilnahme an einem Integrationssprachkurs sei ihr nicht zumutbar. Der Widerspruch wurde von dem Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 19. Mai 2010 als unbegründet zurückgewiesen.
Hiergegen hat die Klägerin am 4. Oktober 2010 Klage beim Sozialgericht Wiesbaden erhoben und vorgetragen, eine Sanktionierung nach § 31 Abs. 1 Nr. 1b) SGB II komme nicht in Betracht, weil sie keine Eingliederungsvereinbarung abgeschlossen habe, die Anknüpfungspunkt der Bestimmung sei. Eine erweiternde Auslegung der Bestimmung komme nicht in Betracht. Auch sei der die Eingliederungsvereinbarung ersetzende Verwaltungsakt vom 18. November 2009 nicht rechtmäßig, weil die Teilnahme an dem Integrationssprachkurs ihr nicht zumutbar sei, da sie drei nicht volljährige Kinder zu versorgen habe. Auch enthalte der die Eingliederungsvereinbarung ersetzende Verwaltungsakt keine Angabe, weshalb e...