Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Unfallversicherungsschutz gem RVO § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst a. unversicherter Weg zum Kinderhort vor Schulbeginn. Verfassungsmäßigkeit. keine Ungleichbehandlung gegenüber Kindergartenkindern

 

Orientierungssatz

1. Eine Grundschülerin, die vor Schulbeginn den Hort zwecks Betreuung aufsuchen muss, steht auf dem Weg dorthin nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.

2. Eine erweiternde Auslegung des Begriffs "Kindergarten" auch auf andere Kindertageseinrichtungen wie einen Hort aufgrund des sich klar aus den Materialien des am 1.4.1971 in Kraft getretenen Gesetzes über Unfallversicherung für Schüler und Studenten sowie Kinder in Kindergärten vom 18.3.1971 (BGBl I, 237), nicht möglich. Hier geht deutlich hervor, dass es dem Gesetzgeber um einen Schutz der sich in der vorschulischen Erziehung befindlichen Kinder ging (BT-Drucks 6/1333, S 7 bzw BT-Drucks 6/1644, S 1.

3. Ein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG liegt in der Begrenzung des Schutzes auf Kindergartenkinder nicht vor.

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gießen vom 22. Mai 2017 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung eines Ereignisses vom 7. Dezember 1977 als Arbeitsunfall.

Die 1970 geborene Klägerin hatte am 7. Dezember 1977 gegen 6.55 Uhr einen Unfall erlitten, als sie beim Überqueren der Straße im Bereich des Fußgängerüberwegs während der Grünphase der Ampel von einem LKW erfasst worden war. Sie hatte sich dabei eine Fraktur des linken Unterschenkels zugezogen. Die Klägerin, die damals in die 2. Klasse ging, hatte sich zum Zeitpunkt des Unfalls auf dem Weg zu ihrer Kindertagesstätte befunden, die sie vor dem Schulbeginn besuchte, weil ihre Mutter ab 6.00 Uhr ihrer Arbeit nachging. Die Klägerin selbst verließ deshalb spätestens um 6.30 Uhr die Wohnung, um in den Hort zu gehen. Dieser öffnete um 7.00 Uhr. Dort blieb die Klägerin bis mindestens 7.45 Uhr, da die Schule um 8.00 Uhr begann.

Im Jahr 2012 wandte sich die Klägerin an die Beklagte. Sie hatte in der Vergangenheit immer wieder Beschwerden im Bereich des linken Sprunggelenks gehabt. Eine erste operative Versorgung erfolgte im Jahr 1989. In den Jahren 2003 und 2011 erfolgten weitere Operationen. Außer der verfilmten Unfallanzeige des Evangelischen Vereins DX. e.V. - Kindertageseinrichtung - D-Stadt und eines teilweise unleserlichen Unfallberichts des Orthopäden Dr. E. ließen sich trotz unterschiedlicher Anfragen der Beklagten bei Medizinern und der Krankenversicherung keine weiteren unfallnahen Unterlagen zu dem Ereignis vom 7. Dezember 1977 auffinden. Ein von der Beklagten bei Prof. Dr. F. in Auftrag gegebenes Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass ein Zusammenhang zwischen dem Unfall und den aktuell bei der Klägerin im Bereich des linken Knöchels bestehenden Beschwerden bestehe.

Nach Erstellung des Gutachtens stellte die Beklagte fest, dass es sich bei dem Ereignis nicht um einen versicherten Unfall gehandelt hatte, weil der Besuch von Kindertagesstätten nach der damals anwendbaren Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht versichert war. Nachdem sie den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 29. Januar 2014 telefonisch hierüber informiert hatte, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24. Februar 2014 die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall ab. Nach dem zum Unfallzeitpunkt geltenden § 539 Abs. 1 Nr. 14a, Nr. 14b Reichsversicherungsordnung (RVO) habe für Kinder nur während des Besuchs von Kindergärten und von allgemeinbildenden Schulen Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung bestanden. Während des Besuchs von Tageseinrichtungen (Hort) habe damals kein Versicherungsschutz bestanden. Erst seit dem 1. Januar 1997 bestehe gem. § 2 Abs. 1 Nr. 8a Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - Gesetzliche Unfallversicherung - SGB VII auch Versicherungsschutz für Kinder von Tageseinrichtungen. Den von der Klägerin eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 6. Juni 2014 - zugegangen am 11. Juni 2014 - zurück.

Am 9. Juli 2014 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Gießen erhoben. Da der Gesetzestext aus dem Jahr 1977 nicht vorliege, könnten die Ausführungen der Beklagten nicht überprüft werden. Es bestehe außerdem zumindest ein Anspruch gem. §§ 2 Abs. 1 Nr. 8a, 8 Abs. 2 Nr. 1, 214 Abs. 3 SGB VII. Die Ansprüche der Klägerin bestünden seit dem 1. Januar 2008, da das Verfahren bei der Beklagten im Mai 2012 neu aufgenommen worden sei. Die Nichteinbeziehung von Kindern in Tageseinrichtungen vor dem In-Kraft-Treten des SGB VII verstoße gegen Art. 3 GG, da schon damals der Besuch von Kindergärten und Schulen in den Schutzbereich einbezogen gewesen sei. Kinder in einem Hort würden hier unangemessen benachteiligt. Außerdem habe sich der Unfall auf demselben Weg ereignet wie dem Schulweg. Mit Gerichtsbescheid vom 22. Mai 2017 hat d...

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