Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Unfallversicherungsschutz gem RVO § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst a. unversicherter Weg zum Kinderhort vor Schulbeginn. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

Eine Grundschülerin, die vor Schulbeginn den Hort zwecks Betreuung aufsuchen muss, steht auf dem Weg dorthin nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Eine Ungleichbehandlung gegenüber Kindergartenkindern, die auf den Wegen zu ihrer Betreuung gem § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst a RVO unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehen, liegt nicht vor.

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Im Streit steht die Anerkennung des Ereignisses vom 07.12.1977 als Arbeitsunfall.

Die 1970 geborene Klägerin hatte am 07.12.1977 gegen 6:55 Uhr in D-Stadt einen Verkehrsunfall erlitten, als sie beim Überqueren der D-Straße am Fußgängerüberweg während der Grünphase der Ampel von einem Lkw erfasst worden war. Sie hatte sich dabei eine Fraktur des linken Unterschenkels zugezogen.

Die Klägerin, welche damals im 2. Schuljahr stand, hatte sich zum Zeitpunkt des Unfalles auf dem Weg zum Kinderhort des Evangelischen Vereins E. in der F-Straße in D-Stadt befunden. Wegen der Folgen des Unfalles hatte die Klägerin seinerzeit von der gegnerischen Haftpflichtversicherung Schadensersatz in Form einer Abfindung i.H.v. 2500 DM erhalten.

In der Akte findet sich die verfilmte Unfallanzeige vom 21.12.1977, ausgestellt vom Evangelischen Verein für gemeinnützige Diakonie, E. - Kindertageseinrichtung -, D-Stadt, sowie die unleserliche ärztliche Unfallmeldung des Orthopäden Dr. G..

Nachdem sich im Oktober 2012 für die Klägerin ein Bevollmächtigter gemeldet hatte, versuchte die Beklagte vergeblich, weitere unfallnahe Unterlagen beizuziehen. Zur Akte gelangten aktuellere Befundberichte, worin fortbestehende Beschwerden am linken Fußgelenk dokumentiert sind, die die Klägerin auf den Unfall vom Dezember 1977 zurückführte, es erfolgten mehrere operative Eingriffe.

Die Beklagte veranlasste außerdem ein chirurgisches Gutachten vom 12.09.2013. Der Sachverständige bejahte den Zusammenhang zwischen den aktuell am linken Knöchel bestehenden Beschwerden und dem Unfallereignis und schätzte die MdE unter anderem ab November 2003 mit 30 bzw. 20 v. H. ein, ab 01.03.2012 mit 10 v. H.

Durch Bescheid vom 24.02.2014 lehnte die Beklagte die Anerkennung und Entschädigung des Ereignisses vom 07.12.1977 als Arbeitsunfall ab, da sich der Verkehrsunfall nicht auf einem versicherten Weg ereignet habe.

Nach der zum Unfallzeitpunkt geltenden Reichsversicherungsordnung (RVO) habe gemäß § 539 Abs. 1 Nr. 14 a) RVO für Kinder während des Besuchs von Kindergärten und gemäß § 539 Abs. 1 Nr. 14 b) RVO für Kinder während des Besuchs von allgemeinbildenden Schulen Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung bestanden. Während des Besuchs von Tageseinrichtungen (Kinderhorten) habe für Kinder zum Unfallzeitpunkt jedoch kein Versicherungsschutz bestanden, so dass der Unfall nicht als Arbeitsunfall anerkannt werden könne.

Unfallversicherungsschutz sei erst durch § 2 Abs. 1 Nr. 8 a) SGB VII ab dem 01.01.1997 auch für Kinder während des Besuchs von Tageseinrichtungen gesetzlich vorgesehen worden.

Der hiergegen fristgerecht eingelegte, jedoch nicht begründete Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 06.06.2014 als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass während des Besuchs von Tageseinrichtungen (Horten) für Kinder zum Unfallzeitpunkt kein Versicherungsschutz bestanden habe. Erst durch die Einführung des SGB VII ab dem 01.01.1997 seien Kinder über die Vorschrift des § 2 Abs. 1 Nr. 8 a) SGB VII auch während des Besuchs von Tageseinrichtungen (Horten) unfallversichert. Vor diesem Zeitpunkt seien diese Kinder jedoch nicht versichert gewesen.

Die Klägerin hat hiergegen vor dem Sozialgericht Gießen am 09.07.2014 Klage erhoben.

Die Klägerin trägt vor, es erscheine diskriminierend und als Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG, wenn seinerzeit trotz Bestehens von Kinder Horten diese in der Reichsversicherungsordnung ausgeklammert worden seien, wenngleich Kindergärten, Schulen etwaige Kindertagesstätten mitberücksichtigt waren, so dass auch vorliegend der Kinderhort, der bei dem streitigen Unfall Ziel der Klägerin gewesen sei, nicht in den Versicherungsschutz mit einbezogen werde.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Bescheid der Beklagten vom 24.02.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.06.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin unter Anerkennung des Ereignisses vom 07.12.1977 als Arbeitsunfall für dessen gesundheitliche Folgen Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung, insbesondere Verletztenrente entsprechend dem Gutachten des Professor Dr. H., in gesetzlichem Umfang zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält die getroffenen Feststellungen für zutreffend.

Mit Schreiben vom...

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