Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragszahnärztliche Versorgung. Verfassungsmäßigkeit des Disziplinarrechts. Voraussetzungen für die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme wegen Verletzung vertragszahnärztlicher Behandlungspflichten
Orientierungssatz
1. Gegen die gesetzlichen Regelungen des vertrags(zahn)ärztlichen Disziplinarrechts bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, insbesondere sind sie hinreichend bestimmt (vgl zB BSG vom 30.11.2016 - B 6 KA 38/15 R = BSGE 122, 112 = SozR 4-2500 § 75 Nr 18 RdNr 18).
2. Die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme setzt materiell neben der objektiven Verletzung vertragsärztlicher Pflichten voraus, dass das Mitglied diese Pflichten schuldhaft verletzt hat (stRspr, vgl zB BSG vom 30.11.2016 - B 6 KA 38/15 R aaO RdNr 17 mwN).
3. Ein Vertragszahnarzt ist verpflichtet, eine dem Behandlungsplan korrespondierende Leistung zu erbringen. Besteht ein Anspruch auf eine kieferorthopädische Behandlung, so verstößt er gegen diese Pflicht, wenn er den Versicherten nicht versorgt, obwohl nach den Bestimmungen des Leistungserbringerrechts dem nichts entgegensteht. Hierzu zählt ua die Weigerung des Vertragszahnarztes, eine begonnene Behandlung fortzusetzen.
4. Bei der Auswahl der Maßnahme ist der Disziplinarausschuss grundsätzlich berechtigt, nach seinem Ermessen zu handeln, sodass die Entscheidung insoweit nur einer eingeschränkten gerichtlichen Prüfung zugänglich ist.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Marburg vom 4. September 2017 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Geldbuße in Höhe von 2.000 €, die die Beklagte als Disziplinarmaßnahme wegen der Verletzung vertragsärztlicher Behandlungspflichten verhängt hat.
Der Kläger ist als Zahnarzt für Kieferorthopädie zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen. Die beklagte Kassenzahnärztliche Vereinigung Hessen forderte u.a. auf Eingaben von Krankenkassen hin unter dem Datum vom 16. Februar 2016 in sechs Behandlungsfällen die Behandlungsdokumentation an. Nach Übersendung und Auswertung verhängte der Vorstand der Beklagten mit Bescheid vom 22. Juli 2016 eine Disziplinarstrafe in Höhe von 2.500,- € wegen Verletzung vertragsärztlicher Behandlungspflichten. Über die Techniker Krankenkasse und die vdek-Landesvertretung seien der Beklagten mehrere Behandlungsfälle bekannt geworden, in denen der Kläger kieferorthopädische vertragszahnärztliche Leistungen entgegen der geltenden Rechtslage von einer Genehmigung der Krankenkassen abhängig gemacht habe. Auf den Umstand, dass eine Therapieergänzung nicht der Genehmigungspflicht unterliege und der Kläger vertragszahnärztliche Pflichten verletze, wenn er von ihm als notwendig erachtete Leistungen dennoch von einer Handlung der Krankenkasse abhängig mache, sei er hingewiesen worden, auch durch die Ausführungen des Bundessozialgerichts im Beschluss vom 20. März 2013 - B 6 KA 56/12 B. Hinsichtlich der einzelnen Behandlungsfälle wird auf die Begründung des Beschlusses (Bl. 248 f. der Verwaltungsakten) verwiesen. Auch die AOK Hessen habe mehrere Behandlungsfälle benannt, in denen die Fortführung einer Behandlung pflichtwidrig von einer Entscheidung der Krankenkasse abhängig gemacht worden sei. Nach § 16 Abs. 4 Bundesmanteltarifvertrag-Zahnärzte (BMV-Z) sei die Entscheidung über einen Behandlungsabbruch vom Vertragsarzt selbst zu treffen. Hinsichtlich der einzelnen Behandlungsfälle wird auf die Begründung des Beschlusses (Bl. 249 f. der Verwaltungsakten) verwiesen. In der Rechtsbehelfsbelehrung wurde darauf hingewiesen, dass durch den Widerspruch die vom Vorstand getroffene Entscheidung unwirksam werde. In diesem Fall werde ein ordentliches Disziplinarverfahren durchgeführt.
Der Kläger legte am 4. August 2016 Widerspruch ein. Er trug vor, es treffe nicht zu, dass aus den Anträgen an die Krankenkasse geschlossen werden könne, Behandler würden eine beantragte Maßnahme für medizinisch notwendig erachten. Vielmehr könne der Patient respektive die Eltern ihn dazu verpflichten, seine Einschätzung, die Maßnahmen seien medizinisch nicht erforderlich, bei der für diese Entscheidung zuständigen staatlichen Behörde überprüfen zu lassen (Petitionsfreiheit), da der Patient selbst kein Antragsrecht besitze. Das Bundessozialgericht habe in seinem Nichtannahmebeschluss ausdrücklich dargelegt, dass die Versorgungspflicht nur dann eingreife, wenn die medizinische Notwendigkeit gegeben sei. Eine medizinische Notwendigkeit bestehe jedoch in der Kieferorthopädie in den seltensten Fällen. Eine Studie lege dar, dass die medizinische Norm der Gebissgesundheit in einer Gebisssituation bestehe, wie sie von Natur aus nur bei 5% der Menschen vorkomme. Sie sei begründet nicht in medizinischen Kriterien, sondern in dem Schönheitsideal einer Zahnbogenform resp. Okklu...