Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschluss des Anspruchs auf Kindergeld bei unbekanntem Aufenthalt bzw. Auslandsaufenthalt der Eltern
Orientierungssatz
1. Nach der Konzeption des BKGG dient Kindergeld der elterlichen Entlastung und steht deshalb nur Personen zu, die als Eltern oder ähnlich wie Eltern mit dem Unterhalt von Kindern belastet sind. Ist ein Elternteil unbekannten Aufenthalts und erfüllt der andere Elternteil die Voraussetzungen für die Zahlung von Kindergeld nach dem BKGG bzw. EStG wegen seines Auslandsaufenthalts nicht, so ist ein Anspruch auf Gewährung von Kindergeld ausgeschlossen.
2. Die gesetzliche Regelung des § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BKGG begegnet weder im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG noch auf Art. 3 Abs. 1 GG verfassungsrechtlichen Bedenken. Dem Gesetzgeber kommt im Bereich der steuerfinanzierten Sozialleistungen bzw. der gewährenden Staatstätigkeit, auch im Hinblick auf die Familienförderung, eine weite Gestaltungsfreiheit zu. Nach Sinn und Zweck dient das Kindergeld der elterlichen Entlastung und steht deshalb nur Personen zu, die als Eltern oder ähnlich wie Eltern mit dem Unterhalt von Kindern belastet sind.
Tenor
I. Die Berufungen der Kläger gegen das Urteil des SozialgerichtsKassel vom 22. September 2011 werden zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander auch für dasBerufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Zahlung von Kindergeld nach denVorschriften des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) ab Juni 2008 bzw.Juni 2009 streitig.
Der 1987 geborene Kläger zu 1. beantragte am 3. Juni 2008Kindergeld mit dem Hinweis, er sei noch keine 25 Jahre alt undbefinde sich in Berufsausbildung. Im weiteren Verlauf gab er an,seine Eltern hätten sich getrennt, als er ca. 3 Jahre alt gewesensei, und er habe dann in einer Pflegefamilie gelebt. Seine Muttersei im Gefängnis gewesen und der Vater habe bei D-Stadt gewohnt.Diesen habe er zuletzt gesehen, als er ca. 6 Jahre alt gewesen sei.In der Pflegefamilie sei er bis ca. zu seinem 15. Lebensjahrgewesen, danach sei er zusammen mit seinem Bruder in einerWohngruppe der Diakonie betreut worden. Das Kindergeld habeseinerzeit das Jugendamt erhalten. Ab dem 17. Lebensjahr habe erzusammen mit seinem Bruder in einer Einrichtung des betreutenWohnens gelebt. Der Aufenthaltsort seiner Mutter sei ihm unbekannt.Sein Vater lebe in Wien.
Der ebenfalls am xx. xxx 1987 geborene Kläger zu 2. ist derZwillingsbruder des Klägers zu 1. Auch er beantragte Kindergeld am10. Juni 2009 unter Hinweis auf eine bestehende Berufsausbildung.Ergänzend machte er geltend, im Hinblick auf den Auslandswohnsitzseines Vaters und die Nichterfüllung der Voraussetzungen des § 1Abs. 1 Nrn. 1 bis 4 BKGG sei seine Situation mit derjenigen vonVollwaisen oder von Kindern, deren Eltern unbekannten Aufenthaltsseien, vergleichbar. Bei verfassungskonformer Auslegung unterBerücksichtigung des Gleichbehandlungsgebotes des Art. 3Grundgesetz (GG) sei ein Anspruch nach § 1 Abs. 2 BKGG gegeben.
Durch Bescheide vom 1. Dezember 2008 (Kläger zu 1.) und 1.Oktober 2009 (Kläger zu 2.) lehnte die Beklagte die Anträge mit derBegründung ab, Anspruch auf Kindergeld für sich selbst habe nach §1 Abs. 2 BKGG, wer Vollwaise sei oder den Aufenthalt seiner Elternnicht kenne. Nachdem hier der Aufenthalt des Vaters bekannt sei,lägen die Anspruchsvoraussetzungen nicht vor.
Die Kläger erhoben Widerspruch am 4. Dezember 2008 bzw. 7.Oktober 2009 und führten aus, richtig sei zwar, dass ihnen derAufenthalt des Vaters bekannt sei. Sie seien jedoch einer Persongleichzustellen, die den Aufenthalt der Eltern nicht kenne.Insofern sei zu berücksichtigen, dass der Vater zu keinem Zeitpunkteinen Kindergeldanspruch gehabt habe und dies bis heute gelte.Vielmehr habe bis zum 18. Lebensjahr das Sorgerecht beim Jugendamtgelegen, das auch den Kindergeldanspruch geltend gemacht habe. Zumjetzigen Zeitpunkt habe der Vater gemäß § 1 Abs. 1 BKGG keinenAnspruch auf Kindergeld, so dass dieser unberücksichtigt bleibenmüsse und sie deshalb mit Personen gleichzustellen seien, die denAufenthalt der Eltern nicht kennen würden bzw. Vollwaisen seien. InAnwendung des Gleichheitssatzes sei § 1 Abs. 2 BKGGverfassungskonform dahingehend auszulegen, dass auch ihnenKindergeld zustehe.
Durch Widerspruchsbescheide vom 11. Dezember 2008 (Kläger zu 1.)und 14. Januar 2010 (Kläger zu 2.) wies die Beklagte dieWidersprüche zurück. Zur Begründung verwies sie erneut darauf, derAufenthalt des Vaters sei bekannt, so dass die Voraussetzungen des§ 1 Abs. 2 BKGG in der Person der Kläger nicht vorlägen.
Mit den am 15. Januar 2009 (Kläger zu 1., S 11 KG 2/09) und 17.Februar 2010 (Kläger zu 2., S 11 KG 1/10) zum Sozialgericht Kasselerhobenen Klagen verfolgten die Kläger ihr Begehren weiter. Siehielten an ihrer Auffassung fest, dass sie Personen gleichzustellenseien, die den Aufenthaltsort der Eltern nicht kennen würden bzw.Vollwaise seien. Im anderen Falle komme es zu einer Verletzung desGleichheitssatzes des Art....