Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufliche Rehabilitation. Kraftfahrzeughilfe
Orientierungssatz
Bei der Prüfung der Frage, ob die weitere Benutzung eines Kraftfahrzeugs zumutbar ist, das der Berechtigte ohne Inanspruchnahme einer Kraftfahrzeughilfe angeschafft hat, kann nicht alleine auf die Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes des Behinderten abgestellt werden.
Verfahrensgang
SG Marburg (Urteil vom 30.01.1991; Aktenzeichen S-5/Ar-485/88) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 30. Januar 1991 und der Bescheid der Beklagten vom 18. Mai 1988 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Juli 1988 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten der 1. Instanz zu 2/3, die außergerichtlichen Kosten der Berufungsinstanz in voller Höhe zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Umstritten sind Leistungen zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges im Rahmen berufsfördernder Leistungen zur Rehabilitation.
Der 1959 geborene Kläger ist schwerbehindert. Von Seiten der Versorgungsverwaltung wurde ihm ein Grad der Behinderung (GdB) in Höhe von 80 % zuerkannt. Die Behinderung besteht hauptsächlich im “Verlust beider Unterschenkel”, weshalb dem Kläger auch die Merkzeichen “G” und “aG” als Vergünstigungsmerkmale zuerkannt wurden.
Der Kläger ist als Arzthelfer in der Hessischen … Klinik … in … beschäftigt. Der einfache Weg von seiner Wohnung bis zur Arbeitsstelle beträgt ca. 400 m. Er ist verheiratet und Vater zweier 1986 und 1988 geborener Kinder.
Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte lehnte den Antrag des Klägers vom 14. April 1988 auf Gewährung von Leistungen zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges ab, weil die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht vorlagen und leitete diesen Antrag an die Beklagte, konkret an das für den Kläger zuständige Arbeitsamt in … weiter. Im Rahmen der Antragstellung gab der Kläger an, daß er zwar bereits einen erstmals am 12. Februar 1987 zugelassenen Pkw Opel Kadett E, Baujahr 1986, besitze, dieser jedoch nur dreitürig sei, so daß es ihm behinderungsbedingt nicht möglich sei, seine Kinder auf den Rücksitz zu setzen. Hierfür sei ein fünftüriges Kraftfahrzeug erforderlich, er beabsichtige daher, sich einen fünftürigen Opel Kadett E, Baujahr 1988, zum Preis von insgesamt DM 20.750,- anzuschaffen. Einen entsprechenden Kaufvertrag hatte er bereits am 3. März 1988 unterschrieben. Sein bisheriges dreitüriges Kraftfahrzeug veräußerte der Kläger mit Kaufvertrag vom 25. April 1988 zum Preis von 13.500,00 DM.
Mit Bescheid vom 18. Mai 1988 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab mit der Begründung, daß nach § 4 der Kraftfahrzeughilfeverordnung (KfZHV) für die Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges u.a. erforderlich sei, daß der Behinderte nicht über ein Kraftfahrzeug verfüge, welches nach Größe und Ausstattung den Anforderungen entspreche, die sich im Einzelfall aus der Behinderung ergeben, und dessen weitere Benutzung ihm zumutbar sei. Die Weiterbenutzung eines vorhandenen Kraftfahrzeuges sei immer dann zumutbar, wenn es behinderungsgerecht und aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen sinnvoll weitergenutzt werden könne, was in der Regel dann der Fall sei, wenn das Fahrzeug noch nicht fünf Jahre alt sei. Da der Kläger im Besitz eines erst ein Jahr alten Kraftfahrzeuges sei, sei ihm die weitere Benutzung dieses vorhandenen Kraftfahrzeuges somit zumutbar.
Den hiergegen am 3. Juni 1988 erhobenen Widerspruch des Klägers wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 12. Juli 1988 zurück. Die hiergegen am 18. August 1988 erhobene Klage begründete der Kläger im wesentlichen damit, daß nach § 4 Abs. 2 der KfzHV ein Kraftfahrzeug nach Größe und Ausstattung den Anforderungen entsprechen müsse, die sich im Einzelfall aus der Behinderung ergäben. Das Kraftfahrzeug und seine Ausstattung müssen hiernach auf die individuellen Bedürfnisse und die individuelle Situation des Behinderten abgestimmt sein. Ergäben sich insoweit Veränderungen, denen das vorhandene Kraftfahrzeug nicht gerecht werde, so greife § 4 Abs. 2 der KfzHV unabhängig davon ein, welches Alter das vorhandene Kraftfahrzeug habe. Aufgrund seiner Behinderung sei es ihm unmöglich, seine Kinder ohne fremde Hilfe, die regelmäßig nur schwer zu erreichen sei, auf den Rücksitzen des dreitürigen Kraftfahrzeugs unterzubringen.
Mit Urteil vom 30. Januar 1991 hat das Sozialgericht Marburg die Klage unter Zulassung der Berufung abgewiesen. In den Entscheidungsgründen führte das Sozialgericht im wesentlichen aus, daß das bisherige Kraftfahrzeug des Klägers den Anforderungen nach §§ 3 und 4 der KfzHV gerecht werde. Zur Erreichung seines Arbeitsplatzes bedürfe der Kläger insoweit nicht der Neuanschaffung eines jetzt fünfjährigen Kraftfahrzeuges. Diese Neuanschaffung stehe insofern mit der Erreichung seines Arbeitsplatzes in keinem Zusammenhang, sondern sei allei...