Entscheidungsstichwort (Thema)
Kostenerstattung im Widerspruchsverfahren. Verfassungskonforme Auslegung. Erledigung der Hauptsache
Leitsatz (amtlich)
1. Tritt im Widerspruchsverfahren eine Erledigung der Hauptsache ein, so hat die Widerspruchsbehörde noch über die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu entscheiden, auch wenn kein Abhilfe- oder Widerspruchsbescheid zu erteilen ist. Dies gilt auch im Verfahren vor dem Berufungsausschuss.
2. Wäre der Widerspruch voraussichtlich erfolgreich gewesen, steht dem Widerspruchsführer jedenfalls dann ein Anspruch auf Kostenerstattung nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X zu, wenn sein Widerspruch für die Erledigung des Widerspruchsverfahrens ursächlich war.
3. Aus rechtsstaatlichen Gründen (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) kann die Kostenlast nicht bei dem durch rechtswidriges Handeln der öffentlichen Verwaltung Betroffenen verbleiben, wenn dieser sich durch ordentliche Rechtsbehelfe verteidigt, die nur aus Gründen, die letztlich nicht auf seinem Verhalten beruhen, nicht zu einem formellen Abschluss kommen.
4. Insoweit bedarf es keiner Analogiebildung zu § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X sondern nur einer verfassungskonformen Auslegung dieser Vorschrift.
Normenkette
SGB X § 63 Abs. 1 S. 1
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 24. Januar 2007 abgeändert und der Bescheid des Beklagten vom 10. Mai 2005 aufgehoben und dieser verurteilt, der Klägerin unter Feststellung der Notwendigkeit der Zuziehung eines Rechtsanwalts die notwendigen Aufwendungen im Widerspruchsverfahren zu erstatten.
Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird auf 1.200,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Kostenerstattung im Widerspruchsverfahren.
Die Klägerin ist eine aus zwei Vertragsärzten bestehende nephrologische Gemeinschaftspraxis. Mit Beschluss des Zulassungsausschusses (ZA) für Ärzte bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen vom 14. September 2004 wurde der am Krankenhaus DV. in L. beschäftigte Internist C. B. weiterhin, befristet bis zum 31. Dezember 2004, zur Teilnahme an der Vertragsärzte Versorgung ermächtigt. Mit Beschluss vom 14. Dezember 2004 erteilte der ZA Herrn B. eine weitere Ermächtigung, befristet bis zum 31. Dezember 2006 beschränkt auf bestimmte Leistungen zur Dialysebehandlung auf Überweisung durch Vertragsärzte, obgleich die zuständige Bezirksstelle der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen (KVH) mit Schreiben vom 6. September 2004 festgestellt hatte, dass für eine Verlängerung der Ermächtigung keine Notwendigkeit mehr vorliege, weil die Dialysebehandlungen durch die Klägerin im Planungsgebiet gewährleistet seien. Hiergegen legten die KVH und die Klägerin, Letztere am 28. Dezember 2004, Widerspruch ein. Den auf sofortige Vollziehung des Beschlusses des ZA vom 14. Dezember 2004 gerichteten Antrag des Herrn B. hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 26. April 2005 (Az.: L 4 KA 13/05 ER) unter Abänderung des teilweise stattgeben Beschlusses des Sozialgerichts Marburg in vollem Umfang abgelehnt und zur Begründung u. a. ausgeführt, es stehe bereits fest, dass der Beschluss des ZA vom 14. Dezember 2004 rechtswidrig sei, weil dieser den Versorgungsbedarf als notwendige Voraussetzung nicht geprüft habe. Trotz des dem Beschwerdeausschuss im Widerspruchsverfahren eingeräumten und gerichtlich nur beschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraums sei der Erfolg des Widerspruchs des Klägers überwiegend wahrscheinlich, denn alle bis dahin bekannten und zwischen den Beteiligten auch nicht streitigen Tatsachen hätten darauf hin gedeutet, dass ein Versorgungsbedürfnis für die Erteilung einer Ermächtigung an Herrn B. über den 31. Dezember 2004 hinaus nicht bestanden habe.
Nachdem im Widerspruchsverfahren Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 20. April 2005 anberaumten war, teilte Herr B. mit dem am 20. April 2005 eingegangenen Schriftsatz vom 19. April 2005 mit, er habe mit Wirkung zum 31. März 2005 auf seine Ermächtigung verzichtet, weil sich seit dem 1. April 2005 in den Räumlichkeiten der Klinik eine Zweigpraxis des im Klinikum FO. bestehenden Dialysezentrums befinde, deren leitender Dialysearzt er sei. Hierauf erklärten die Widerspruchsführer die Hauptsache für erledigt. Mit Schriftsatz vom 20. April 2005 beantragte die Klägerin beim Beklagten die Erstattung ihrer notwendigen Aufwendungen im Widerspruchsverfahren und die Feststellung der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes. Der Beklagte teilte hierzu mit formlosem Schreiben vom 10. Mai 2005 mit, dass eine Kostenerstattung nicht stattfinde, soweit ein Vertragsarzt mit einem Widerspruch gegen die Ermächtigung eines anderen Vertragsarztes Erfolg habe.
Hiergegen hat die Klägerin am 12. April 2006 Klage beim Sozialgericht Marburg erhoben, mit der sie die Feststellung der Erledigung des Widerspruchsverfahrens sowie die Erstattung ihrer notwendigen Aufwendungen durch den Beklagten einschließlich der Fests...