Entscheidungsstichwort (Thema)
Berichtigung des vertragsärztlichen Honorars aufgrund einer zeitbezogenen Plausibilitätsprüfung. Zeitaufwand des Vertragsarztes. Indizienbeweis. Tagesprofile. Gestaltungsspielraum des Bewertungsausschusses. Schätzung. Anhörung
Orientierungssatz
1. Die Kassenärztliche Vereinigung stellt nach § 106a SGB 5 die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertragsärzte fest. Dazu gehört die arztbezogene Prüfung der Abrechnungen auf Plausibilität sowie die Prüfung der abgerechneten Sachkosten. Die Prüfung erstreckt sich auf die Frage, ob die abgerechneten Leistungen ordnungsgemäß erbracht worden sind.
2. Tagesprofile sind geeignete Beweismittel, um einem Arzt im Wege des Indizienbeweises unkorrekte Abrechnungen nachweisen zu können. Die für die einzelnen ärztlichen Leistungen zugrunde zu legenden Durchschnittszeiten müssen so bemessen sein, dass ein erfahrener, geübter und zügig arbeitender Arzt die Leistungen im Durchschnitt in kürzerer Zeit schlechterdings nicht ordnungsgemäß und vollständig erbringen kann. Als Nachweis für eine Falschabrechnung des Quartals genügt bereits ein beliebiger falsch abgerechneter Tag.
3. Mit der Überschreitung der Tagesprofile durch den geprüften Vertragsarzt wird hinreichend nachgewiesen, dass an diesen Tagen eine ordnungsgemäße Leistungserbringung nicht mehr möglich gewesen ist. Durch diesen Nachweis der Implausibilität ist der Nachweis einer nicht ordnungsgemäßen Abrechnung erbracht. Einer weitergehenden Einzelfallprüfung oder des Nachweises in jedem Einzelfall bedarf es nicht.
Normenkette
SGB V § 106a Abs. 2, §§ 75, 87 Abs. 2; SGB X § 24 Abs. 1
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 8. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits auch für das Berufungsverfahren zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Festsetzung einer Honorarberichtigung aufgrund einer zeitbezogenen Plausibilitätsprüfung der Honorarabrechnungen für die sechs Quartale II/05 bis III/06 in Höhe von insgesamt 34.712,06 €.
Der Kläger war seit dem 18. April 1995 als Vertragsarzt zur vertragsärztlichen Versorgung im Bezirk der Beklagten zugelassen und nahm vom 1. Januar 1996 bis 30. September 2006 als Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin an der vertragsärztlichen Versorgung im hausärztlichen Bereich teil. Er bezieht nach seinen Angaben Versorgungsbezüge der erweiterten Honorarverteilung der Beklagten mit monatlichen Abschlagszahlungen von 700,00 € sowie Bezüge der Nordrheinischen Ärzteversorgung in Höhe von monatlich 2.676,61 €.
Die Beklagte führte für die streitbefangenen Quartale eine Plausibilitätsprüfung durch und übersandte dem Kläger unter dem 1. Februar 2008 die zeitbezogenen Rechnungsergebnisse für die Quartale II/05 bis I/07 mit Erläuterungen zur Ermittlung der Zeitprofile.
Der Kläger erklärte hierzu, er habe in seiner Praxis sehr viele Patienten gehabt, die aufgrund ihrer allergischen Diathese behandelt worden seien. Er habe in der Regel zwischen 80 und 90 Patienten wegen Allergien behandelt, dies sei ein wesentlicher Schwerpunkt seiner Praxis gewesen. Der bei der Hypersensibilisierung angegebene Zeitfaktor sei so hoch, dass man mit 10 Hypersensibilisierungen schon 5 Stunden gearbeitet habe, was bei der früher geltenden Gebührenordnung nicht der Fall gewesen sei. Die Allergiebehandlungen in seiner früheren Praxis sei überwiegend von seiner Frau durchgeführt worden, die examinierte Kinderkrankenschwester sei und über diese Spezialkenntnisse verfüge. Seine Arbeitszeit sei insoweit auf die alleinige Verabreichung der Injektion beschränkt gewesen. Hierfür benötige man eine Minute und nicht 30 Minuten. Außerdem habe er in seiner Praxis einen überdurchschnittlich hohen Anteil von Ausländern von ca. 90% gehabt. Die Erklärungen über die Erkrankung und deren Therapie sowie Ernährungsberatungen seien durch seine Ehefrau durchgeführt worden und spiegelten sich natürlich in dem Zeitprofil wieder. Auch hätten im Jahr 2006 einige Kollegen, die sich überlegt hätten, die Praxis von ihm zu übernehmen, in der Praxis mitgearbeitet, um einen Einblick in die Arbeit zu erhalten. Es habe praktisch ein zweiter Arzt bei der Versorgung der Patienten mitgeholfen, auch dies gehe bezüglich des Zeitfaktors zu seinen Lasten.
Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 17. Juli 2008 aufgrund einer zeitbezogenen Plausibilitätsprüfung der Honorarabrechnung für die Quartale II/05 bis IIl/06 die strittige Honorarrückforderung in Höhe von insgesamt 34.712,06 € netto fest. Zur Begründung führte sie aus, für die Prüfung nach Zeitprofilen würden primär die im Anhang 3 zum EBM aufgeführten Prüfzeiten für die ärztlichen Leistungen zugrunde gelegt werden. Außer Betracht blieben Leistungen im organisierten Notfalldienst, Leistungen aus der unvorhergesehenen Inanspruchnahme des Vertragsarztes außerhalb der Sprechstundenzeiten und bei Unterbrechung der Sprechstunde mit Verlassen der Praxis. Der Anhang...