Entscheidungsstichwort (Thema)
Honorarberichtigung aufgrund einer zeitbezogenen Plausibilitätsprüfung unter Berücksichtigung des Job-Sharing-Verhältnisses eines angestellten Arztes
Orientierungssatz
1. Bei der sachlich-rechnerischen Überprüfung vertragsärztlicher Leistungen sind zur zeitbezogenen Plausibilitätsprüfung nach § 106 a Abs. 2 S. 1 2. HS. SGB 5 sowohl Tagesprofile als auch Quartalsprofile als Indizienbeweis für eine nicht ordnungsgemäße Abrechnung geeignet und damit zulässig.
2. Ziel der Honorarkürzung im Rahmen der Plausibilitätsprüfung ist die Sanktionierung zumindest grob fahrlässig erfolgter fehlerhafter Abrechnungen insbesondere nicht oder nicht vollständig erbrachter Leistungen. Leistungsbegrenzungen im Rahmen des Jobsharing eines angestellten Arztes beziehen sich auf das gesamte Leistungsjahr. Infolgedessen hat die Überprüfung der Abrechnung eine unterschiedliche Praxisorganisation innerhalb der Quartale des Leistungsjahres zu berücksichtigen.
3. Ist mit den Tagesprofilen der Indizienbeweis einer inkorrekten Abrechnung geführt, so entfällt die Garantiewirkung der Abrechnungssammelerklärung.
4. Dem Prüfungsausschuss kommt bei der Neufestsetzung des Honorars und bei der Rückforderung des Differenzbetrages bei Wegfall der Garantiefunktion der Abrechnungssammelerklärung ein weites Schätzungsermessen zu.
5. Bei Schätzungen besteht kein der Gerichtskontrolle entzogener Beurteilungsspielraum. Vielmehr hat das Gericht die Schätzung selbst vorzunehmen bzw. selbst nachzuvollziehen.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 30. Januar 2013 abgeändert. Der Bescheid vom 23. Juli 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Januar 2011 wird für das Quartal III/05 vollständig, für die Quartale II/05, IV/05 bis I/07 nur insoweit aufgehoben, als die Honorarkürzung für das Quartal II/05 einen Betrag von 6.806,15 EUR, für das Quartal IV/05 einen Betrag von 3.921,63 EUR, für das Quartal I/06 einen Betrag von 3.434,88 EUR, für das Quartal II/06 einen Betrag von 9.626,42 EUR, für das Quartal III/06 einen Betrag von 3.528,48 EUR, für das Quartal IV/06 einen Betrag von 7.061,85 EUR und für das Quartal I/07 einen Betrag von 24.620,12 EUR (insgesamt 58.999,54 EUR) überschreitet.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Der Kläger hat 2/3, die Beklagte 1/3 der Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um Honorarberichtigung aufgrund einer zeitbezogenen Plausibilitätsprüfung der Honorarabrechnungen für die 8 Quartale II/05 bis I/07 in Höhe von insgesamt 76.447,01 EUR netto.
Der Kläger ist als Facharzt für Neurologie und Psychiatrie seit 1990 mit Praxissitz in A Stadt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Im Quartal II/05 beschäftigte er bis zum 14. Mai 2005 die Ärztin im Praktikum C. Vom 28. Juni 2005 bis 31. Dezember 2006 beschäftigte er die Neurologin und Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. D. als angestellte Ärztin im Rahmen eines sog. Job-Sharing-Verhältnisses. Für die streitbefangenen Quartale setzte die Beklagte das Honorar wie folgt fest:
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II/05 |
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III/05 |
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IV/05 |
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I/06 |
Honorarbescheid vom |
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29.06.2006 |
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12.08.2006 |
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06.08.2007 |
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20.01.2007 |
Nettohonorar gesamt in EUR |
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117.126,37 |
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97.573,27 |
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95.242,95 |
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105.672,62 |
Fallzahl gesamt |
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1.492 |
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1.380 |
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1.359 |
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1.449 |
Bruttohonorar PK + EK in EUR |
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116.798,04 |
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97.071,47 |
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98.125,46 |
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106.625,09 |
Fallzahl PK + EK |
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1.467 |
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1.353 |
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1.337 |
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1.456 |
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Regelleistungsvolumen Ziff. 6.3 HVV |
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Praxisbezogenes RLV in Punkten |
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1.319.052,1 |
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1.315.587,5 |
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1.311.998,2 |
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1.370.591,6 |
Überschreitung in Punkten |
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3.386.140,9 |
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2.181.111,5 |
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2.498.113,3 |
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2.816.143,9 |
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II/06 |
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III/06 |
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IV/06 |
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I/07 |
Honorarbescheid vom |
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04.02.2007 |
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17.03.2007 |
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18.04.2007 |
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08.03.2008 |
Nettohonorar gesamt in EUR |
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111.109,04 |
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96.150,86 |
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102.110,44 |
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100.696,94 |
Fallzahl gesamt |
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1.400 |
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1.458 |
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1.521 |
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1474 |
Bruttohonorar PK + EK in EUR |
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111.150,26 |
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96.417,62 |
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102.406,99 |
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101.158,42 |
Fallzahl PK + EK |
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1.379 |
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1.438 |
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1.503 |
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1.457 |
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Regelleistungsvolumen Ziff. 6.3 HVV |
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Praxisbezogenes RLV in Punkten |
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1.346.612,8 |
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1.375.297,9 |
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1.604.643,8 |
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1.413.119,7 |
Überschreitung in Punkten |
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2.302.103,7 |
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3.798.496,0 |
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2.682.011,2 |
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2.438.968,8 |
Die Beklagte führte für die streitbefangenen Quartale eine Plausibilitätsprüfung durch und übersandte dem Kläger am 20. September 2008 die zeitbezogenen Rechnungsergebnisse für die Quartale II/05 bis I/07 unter Erläuterung der Ermittlung der Zeitprofile.
Der Kläger erklärte hierzu, er habe im streitigen Zeitraum einen Arzt im Praktikum und einen Nervenarzt im Rahmen des Job-Sharing beschäftigt. Den daher genehmigten Zeitaufwand von 1.440 Minuten pro Tag habe er an keinem Tag überschritten.
Der Beklagte setzte mit Bescheid vom 23. Juli 2010 aufgrund der zeitbezogenen Plausibilitätsprüfung für die Quartale II/05 bis I/07 eine Honorarrückforderung in Höhe von insgesamt 76.447,01 EUR netto fest. Die Festsetzungen für die einzelnen Quartale ergingen wie folgt:
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II/05 |
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7.412,43 EUR netto |
III/05 |
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10.037,44 EUR netto |
IV/05 |
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4.051,82 EUR netto |