Entscheidung zur Frage, wann ein Tatbestand des § 1 BVG bei ärztlichen Kunstfehlern vorliegt.
Leitsatz (amtlich)
Der Soldat hat keine freie Arztwahl und ist militärärztlicher Behandlung unterworfen. Gesundheitsstörungen durch fehlerhafte Behandlung sind auch dann Schädigungsfolgen, wenn die Leiden auf der Anlage beruht. Fehler bei der Diagnoseermittlung sind nicht den von der Rechtsprechung entwickelten Begriff der vitalen Indikation zur Operation gleichzustellen. Nur im letzten Fall kann unter bestimmten Voraussetzungen der ursächliche Zusammenhang mit den Wehrdienst verneint werden.
(Anschluß an BSG – 28.6.68, 9 RV 604/65).
Normenkette
BVG § 1
Verfahrensgang
SG Darmstadt (Urteil vom 20.11.1969) |
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 20. November 1969 wird mit der Massgabe zurückgewiesen, dass der Tenor des angefochtenen Urteils folgendermassen zu lauten hat:
„Der Beklagte wird verurteilt, für die durch die Thorotrast-Ablagerungen im Jahre 1941 eingetretenen Gesundheitsstörungen des Klägers Versorgung zu gewähren.
Der Beklagte hat die dem Kläger entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten der Berufungsinstanz zu erstatten”.
Tatbestand
Der am … 1905 geborene Kläger beantragte am 31. Juli 1963 beim Versorgungsamt Darmstadt Versorgung wegen eines Leberschadens und einer Nierenfunktionsstörung, die durch eine Arteriographie mit Thorotrast während eines Lazarettaufenthaltes in der Nervenklinik F. im Jahre 1941 hervorgerufen worden seien. Zum Beweise legte er u.a. eine Bescheinigung des Internisten Dr. F. vom 28. August 1963 und seinen Entlassungsschein aus der Wehrmacht vom 14. Juli 1941 vor.
Das Versorgungsamt zog die über ihn vorhandenen Krankenbuchaufzeichnungen von der Deutschen Dienststelle bei und liess ihn ärztlich begutachten. In seinem am 10. September 1964 abgeschlossenen Hauptgutachten kam der Facharzt für innere Medizin Dr. H. unter Wertung eines von dem Facharzt für Augenkrankheiten Dr. O. am 22. Juli 1964 erstellten Gutachtens, von Röntgenbefunden und nach Einsichtnahme in die von der Nervenklinik der Stadt und Universität F. übersandten Krankenblätter über die Behandlung des Klägers ab 22. Mai bis 7. Juli 1941 zu dem Ergebnis, dass bei diesem Thorotrasteinlagerungen in der Leber, der Milz und im Bereich der paraportalen Lymphknoten vorhanden seien. Überdies lägen eine Leberschädigung und ein Harnwegsinfekt vor. Es bestehe kaum ein Zweifel, dass die Ablagerungen des damals weit verbreiteten Kontrastmittels auf die 1941 erfolgten Arteriographien zurückzuführen seien. Diese seien jedoch nicht wegen einer durch den Wehrdienst erlittenen Verwundung oder Erkrankung, sondern wegen eines vorwehrdienstlichen Leidens – Verdacht auf Hirntumor – erfolgt. Dementsprechend sei der Kläger ohne Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung aus dar Wehrmacht entlassen worden, da die Wiedererlangung seiner Dienstfähigkeit in absehbarer Zeit nicht zu erwarten gewesen sei.
Mit Bescheid vom 21. Oktober 1964 lehnte das Versorgungsamt den Antrag mit der Begründung ab, ein Anspruch auf Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) sei mangels Schädigungsfolgen nicht gegeben. Die Indikation zu den Untersuchungen, wie sie damals im Reservelazarett I der Universitätsnervenklinik durchgeführt worden seien, seien zur diagnostischen Klärung des Krankheitsbildes und zur Beurteilung einer entsprechenden Behandlung unbedingt erforderlich gewesen und wäre in einem Zivilkrankenhaus in gleicher Art erfolgt. Deshalb könne auch nicht von einer durch den Wehrdienst bedingten Fehlbehandlung gesprochen werden.
Im Widerspruchsverfahren trug der Kläger vor, er habe seine Zustimmung zu den im Jahre 1941 in der Nervenklinik durchgeführten Untersuchungen, die lediglich zur Feststellung seiner Wehrtauglichkeit erfolgt seien, nicht gegeben gehabt. Als Privatmann hätte er sich einer derartigen Behandlung nie unterzogen.
Nachdem der Facharzt für Lungenkrankheiten Dr. Z. am 27. Juni 1967 und 7. Februar 1968 röntgenologische Kontrolluntersuchungen des Klägers durchgeführt hatte, welche die Thorotrasteinlagerungen in der Leber, Milz und im Bereich des mittleren Abdomens bestätigten und sich am 14. Februar 1968 zusammenfassend geäussert hatte, erging am 13. September 1968 der den ablehnenden Bescheid bestätigende Widerspruchsbescheid. Zur Begründung wurde wiederum ausgeführt, die Anwendung von Thorotrast sei 1941 auch in zivilen Krankenhäusern allgemein üblich gewesen, so dass der Kläger mit seinem Einwand, er würde sich als Privatmann keiner entsprechenden Behandlung unterzogen haben, nicht gehört werden könne. Das von ihm zitierte Urteil des Bundessozialgerichts vom 4. Oktober 1966 betreffe den hier nicht vorliegenden Fall der objektiv fehlerhaften ärztlichen Behandlung eines Soldaten.
Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Darmstadt hat der Kläger seinen Anspruch auf Anerkennung der Folgeschäden nach Verabreichung von Thorotrast als Schädigungsfolge aufrechterhalten und sich u.a. auf einen Arztbrief des Prof...