Verfahrensgang

SG Frankfurt am Main (Urteil vom 07.05.1993; Aktenzeichen S-1/Ar-189/92)

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 09.11.1995; Aktenzeichen 11 RAr 27/95)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 7. Mai 1993 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist der Eintritt einer Sperrzeit für die Zeit vom 1. September 1991 bis zum 23. November 1991 streitig.

Der im Jahre 1933 geborene Kläger war seit dem 20. Mai 1975 als Chemiearbeiter bei der Firma S. AG Brennelementewerk H. beschäftigt. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis am 7. Februar 1990 zum 31. August 1991. Im Zusammenhang mit der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses erhielt der Kläger einen Übergangszuschuß, eine Beihilfe als Anerkennung für langjährige Dienstzeit und ein Ruhegeld ab 1. September 1991.

Nach § 21 Nr. 5 des Manteltarifvertrages für Arbeiter und Angestellte in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie des Landes Hessen konnte dem Kläger, da er das 55., aber noch noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet und das Arbeitsverhältnis mindestens zehn Jahre ununterbrochen bestanden hatte, nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. Dieser besondere Kündigungsschutz galt nicht bei Vorliegen eines für den betroffenen Arbeiternehmer geltenden Sozialplanes sowie bei Änderungskündigungen zum Zwecke innerbetrieblicher Versetzungen und Versetzungen im Rahmen des Unternehmens bzw. Konzerns, wenn damit keine Veränderung des Wohnsitzes erforderlich wurde.

Am 19. August 1991 meldete sich der Kläger mit Wirkung zum 1. September 1991 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte das Arbeitslosengeld. Durch Bescheid vom 1. September 1991 stellte die Beklagte den Eintritt einer Sperrzeit von zwölf Wochen mit der Begründung fest, der Kläger habe einem Aufhebungsvertrag zugestimmt, obwohl nach den tariflichen Bestimmungen eine Kündigung seitens des Arbeitgebers ausgeschlossen gewesen sei. Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei für ihn zumutbar gewesen. Der hiergegen am 6. November 1991 eingelegte Widerspruch blieb ohne Erfolg. Im Widerspruchsbescheid vom 13. Januar 1992 führte die Beklagte ergänzend aus, es sei davon auszugehen, daß der Kläger konkludent ein Aufhebungsangebot angenommen habe und somit ein Aufhebungvertrag geschlossen worden sei. Er habe nämlich sein Einverständnis mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegeben, weil ihm – seiner Einlassung zufolge – die tariflichen Bestimmungen bekannt gewesen seien und er somit gewußt habe, daß lediglich eine Änderungskündigung hätte ausgesprochen werden können. Der Abschluß eines Aufhebungsvertrages stehe jedoch einer Eigenkündigung gleich, so daß, da der Kläger zum Zeitpunkt des Abschlusses des Aufhebungsvertrages keinen Anschlußarbeitsplatz konkret in Aussicht gehabt habe, ein Sperrzeittatbestand gegeben sei.

Auf die am 28. Januar 1992 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Frankfurt am Main mit Urteil vom 7. Mai 1993 den Bescheid vom 1. November 1991 und den Widerspruchsbescheid vom 13. Januar 1992 aufgehoben. Die Voraussetzungen für den Eintritt einer Sperrzeit gemäß § 119 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) seien nicht gegeben. Der Kläger habe sein Beschäftigungsverhältnis mit der Firma S. AG Brennelementewerk H. nicht im Sinne dieser Vorschrift „gelöst”. Er habe es weder selbst gekündigt noch durch Vereinbarung mit dem Arbeitgeber beendet. Eine Zustimmung zu einem Aufhebungsvertrag könne nicht unterstellt werden, selbst wenn der Kläger der Kündigung nicht widersprochen habe. Das bloße Schweigen oder Hinnehmen einer Kündigung, allein das Absehen von der Erhebung einer Kündigungsschutzklage ohne erkennbare Zustimmung sei nicht ausreichend. Es könne nicht als Ausdruck einer rechtsgeschäftlichen Willenserklärung zum Abschluß eines Aufhebungsvertrages angesehen werden. Dies gelte auch, wenn die ausgesprochene Kündigung, etwa wegen eines besonderen Kündigungsschutzes des Arbeitnehmers, rechtswidrig bzw. unwirksam sei. Voraussetzung hierfür sei, daß ein einvernehmliches Wirken des Arbeitnehmers vorliege, um eine Umdeutung in einen Aufhebungsvertrag zu rechtfertigen. Die fehlende Bereitschaft des Arbeitsnehmers, sich gegen den Willen des Arbeitgebers weiter zu behaupten, sei nach dem Gesetz kein Fehlverhalten gegenüber der Versichertengemeinschaft, welches den Eintritt einer Sperrzeit rechtfertige. Es könne daher dahinstehen, ob der Kläger durch die von ihm angegebenen Gründe einen wichtigen Grund für sich in Anspruch nehmen könne. Im übrigen sei durchaus nachvollziehbar und verständlich, daß der Kläger im Rahmen einer Abwägung zwischen den Interessen des Arbeitgebers und seinen Interessen als Arbeitnehmer den Arbeitgeber für berechtigt gehalten habe, das Arbeitsverhältnis jedenfalls im Wege einer ordentlichen Kündigung zu beenden. Die Annahme eines wichtigen Grundes seitens des Klägers werde auch dadur...

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