Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Rechtmäßigkeit von nachträglich sachlich-rechnerischen Berichtigungen. Gemeinschaftspraxis. Abrechnung. Vertretung
Orientierungssatz
1. Die Rechtmäßigkeit nachträglicher sachlich-rechnerischer Berichtigung setzt im Fall eines Gestaltungsmissbrauchs der Rechtsformen der beruflichen Kooperation grundsätzlich kein Verschulden der beteiligten Ärzte voraus (vgl BSG vom 22.3.2006 - B 6 KA 76/04 R = BSGE 96, 99 = SozR 4-5520 § 33 Nr 6 RdNr 28 und LSG Darmstadt vom 30.11.2016 - L 4 KA 22/14 - juris RdNr 55).
2. Innerhalb einer Gemeinschaftspraxis kann eine Vertretung grundsätzlich nicht abgerechnet werden, da es einer Vertretung nur für die seltenen Fälle bedarf, in denen der Ausfall eines Partners nicht durch den weiterhin tätigen anderen Partner aufgefangen werden kann (vgl BSG vom 2.7.2014 - B 6 KA 2/14 B - juris RdNr 10; BSG vom 14.12.2011- B 6 KA 31/10 R = SozR-4 2500 § 106a Nr 8 RdNr 27, 28 ff).
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 11. April 2018 geändert und die Klage insgesamt abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens beider Instanzen zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten noch über Honorarrückforderungen in Höhe von 19.890 Euro aufgrund von patientenbezogenen Plausibilitätsprüfungen der Honorarabrechnungen der vier Quartale I/13 bis IV/13.
Der 1953 geb. Kläger ist als praktischer Arzt seit 12. Oktober 1995 zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt, A-Straße, zugelassen. Herr Dr. C., geb. 1942, ist als praktischer Arzt seit 27. Oktober 1981, seit 16. Januar 1995 als Facharzt für Allgemeinmedizin zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz wie der Kläger zugelassen. Sie führten in den Quartalen IV/06 bis IV/07 eine Berufsausübungsgemeinschaft, ebenso wieder ab dem Quartal III/15.
Die Beklagte hatte zunächst für die Quartale I/08 bis IV/10 eine patientenbezogene Plausibilitätsprüfung durchgeführt. Mit Schreiben vom 17. Januar 2012 hatte sie eine Verfahrenseinstellung mit beratendem Hinweis vorgenommen. Darin führte sie aus, die Praxis des Klägers sei mit der Praxis des Dr. C., mit der er eine Praxisgemeinschaft bilde, gegenübergestellt worden. Nach den aufgeführten Berechnungsergebnissen habe der Anteil identischer Patienten im Quartal II/08 bei 18,7 %, in den übrigen Quartalen zwischen 44,07 % und 66,29 % gelegen. Das Abrechnungsverhalten erwecke den Verdacht, dass der Kläger mit Herrn Dr. C. in weiten Bereichen wie eine Berufsausübungsgemeinschaft zusammenarbeite. Dies zeige sich an der hohen Zahl von bis zu 750 gemeinsamen Patienten. Den hiergegen eingelegten Widerspruch hatte die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 2012 als unzulässig zurückgewiesen.
Die Beklagte hatte ferner mit Bescheid vom 28. August 2014 auf Grund einer patientenbezogenen Plausibilitätsprüfung der Honorarabrechnung für die Quartale I/11 bis IV/12 eine Honorarrückforderung in Höhe von insgesamt 25.365,22 € festgesetzt. Die Praxis des Klägers sei wiederum mit der Praxis des Dr. C., mit der er eine Praxisgemeinschaft bilde, gegenübergestellt worden. Es hätte sich bei dem Kläger ein Anteil gemeinsamer Patienten zwischen 59,43% und 66,70% ergeben. Den hiergegen erhobenen Widerspruch hatte die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. Januar 2015 als unbegründet zurückgewiesen.
In den Quartalen I/13 bis I/15 setzte die Beklagte das Honorar des Klägers jeweils wie folgt fest:
|
Quartal |
I/13 |
II/13 |
III/13 |
IV/13 |
Honorar PK/EK/SKT in Euro |
51.388,10 |
52.018,62 |
50.438,89 |
55.340,62 |
Fallzahl |
1.065 |
1.001 |
1.013 |
1.130 |
|
Quartal |
I/14 |
II/14 |
III/14 |
IV/14 |
Honorar PK/EK/SKT in Euro |
46.096,71 |
48.280,75 |
50.902,43 |
52.261,02 |
Fallzahl |
991 |
908 |
1.035 |
906 |
|
Quartal |
I/15 |
Honorar PK/EK/SKT in Euro |
53.409,96 |
Fallzahl |
914 |
Die Beklagte forderte den Kläger mit Schreiben vom 8. Februar 2016 aufgrund einer Plausibilitätsprüfung der Quartalsabrechnung für die Quartale I/13 bis II/15 zu einer Stellungnahme auf. Sie habe die Honorarabrechnung des Klägers zusammen mit der Honorarabrechnung der Praxis Dr. med. C. in A-Stadt, mit der der Kläger eine Praxisgemeinschaft gebildet habe, einer Plausibilitätsprüfung unterzogen und beide Abrechnungen gegenübergestellt. Hierbei habe sie eine Anzahl von gemeinsam abgerechneten Fällen festgestellt.
Der Kläger trug mit Schreiben vom 29. März 2016 (Bl. 13 VA) vor, bis zu diesem Plausibilitätsverfahren seien weder er noch Dr. C. jemals auffällig geworden. Er habe bereits anderenorts präzise beschrieben, dass die kleine Notdienstgemeinschaft nach einem Zerwürfnis, an dem er völlig unbeteiligt gewesen sei, von den Kollegen der anderen Praxen vor Ort ohne triftigen Grund aufgelöst worden sei. Dr. C. sei bereits vom regelmäßigen KV-Notdienst befreit gewesen. Dies habe zur Folge gehabt, dass er bis auf ca. 68 Tage im Jahr rund um die Uhr Dienst gehabt hätte, ganz zu schweigen vom Dienstplan über Weihnachten usw. über 5-7 ...