Entscheidungsstichwort (Thema)

Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung von der selbständigen Tätigkeit bei einem Gesellschafter-Geschäftsführer ohne Sperrminorität

 

Orientierungssatz

1. Bei der Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung von der selbständigen Tätigkeit ist von Ersterer auszugehen, wenn die Tätigkeit in einem Arbeitsverhältnis unter einer Weisungsgebundenheit verrichtet wird und eine Eingliederung in einen fremden Betrieb vorliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit durch das eigene Unternehmerrisiko, die eigene Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.

2. Ist der alleinvertretungsberechtigte Gesellschafter einer Gesellschaft an deren Kapital mit 49 % beteiligt, ist er den Weisungen der Gesellschafterversammlung als Geschäftsführer unterworfen, in die Arbeitsorganisation des Unternehmens eingegliedert, bezieht er eine feste Vergütung, hat er Anspruch auf bezahlten Urlaub und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und hat er ein unternehmerisches Risiko nicht zu tragen, so ist von dem Bestehen einer abhängigen Beschäftigung auszugehen.

3. Die Übernahme einer Bürgschaft durch den Gesellschafter-Geschäftsführer führt zu keinem anderen Ergebnis.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 15.02.2017; Aktenzeichen B 12 KR 77/16 B)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 17. März 2014 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen werden nicht erstattet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger aufgrund seiner Tätigkeit für die Beigeladene zu 1. sozialversicherungspflichtig ist.

Der Kläger ist alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer und Gesellschafter der Beigeladenen zu 1. Er hält 49 % der Gesellschaftsanteile. Weitere Gesellschafter sind D. mit 49 % der Gesellschaftsanteile und die E. AG mit 2 % der Gesellschaftsanteile.

Am 3. März 2012 beantragte der Kläger die Statusfeststellung gemäß § 7a Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV). Er gab an, dass er Gesellschafterbeschlüsse durch vertragliche Sonderrechte nicht verhindern könne. Er übe das Stimmrecht auch nicht für andere aus. Ab September 2010 habe er 4.000 € monatlich verdient, ab November 2011 5.500 €. Gemäß Geschäftsführervertrag vom 1. September 2010 ist er von den Beschränkungen gemäß § 181 BGB befreit. Er hat Anspruch auf 28 Tage Urlaub sowie auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

Nach Anhörung des Klägers und der Beigeladenen zu 1. stellte die Beklagte mit Bescheid vom 14. Mai 2012 fest, dass der Kläger aufgrund seiner Tätigkeit für die Beigeladene zu 1. versicherungspflichtig in der gesetzlichen Krankenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung, der Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung ist. Er habe weder eine Stimmenmehrheit noch eine Sperrminorität und erhalte eine feste Vergütung.

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und verwies auf den Gesellschafterbeschluss vom 1. September 2010, wonach die E. AG das Recht der Verwaltung ihrer Stimmrechte widerrufbar auf den Kläger übertragen hat.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20. September 2012 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Am 19. Oktober 2012 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Darmstadt Klage erhoben. Er bestimme allein die Geschäftspolitik der Beigeladenen zu 1. Er habe einen weiteren Standort in G-Stadt eröffnet und beschäftige 50 Arbeitnehmer. Die Beigeladene zu 1. hat vorgetragen, dass der Kläger bei seiner Tätigkeit keinen Weisungen unterliege.

Mit Urteil vom 17. März 2014 hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 14. Mai 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. September 2012 insoweit aufgehoben, als die Beklagte aufgrund der Beschäftigung des Klägers für die Beigeladene zu 1. für die Zeit ab dem 1. Januar 2012 eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung festgestellt hat. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe zutreffend gemäß § 7a SGB IV festgestellt, dass der Kläger gemäß § 7 Abs. 1 SGB IV abhängig beschäftigt sei. Er verfüge weder über die Mehrheit der Gesellschaftsanteile noch über eine Sperrminorität. Daher sei er grundsätzlich als Beschäftigter der Beigeladenen zu 1. als versicherungspflichtig zu betrachten. Besondere Umstände, die eine Weisungsgebundenheit im Einzelfall ausnahmsweise aufheben würden, lägen nicht vor. Er könne sich auch nicht erfolgreich auf die Vollmacht der E. AG berufen, da diese einseitig von der AG widerrufen werden könne, so dass eine wirksame Sperrminorität nicht vorliege. Zudem bestünden Bedenken dagegen, dass diese Vereinbarung überhaupt gelebt werde, da die vorliegenden Gesellschafterbeschlüsse seitens der E. AG von deren Geschäftsführer F. unterzeichnet worden seien und der Kläger im Antragsformular für das Statusfeststellungsverfahre...

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