Entscheidungsstichwort (Thema)

Überlanges Gerichtsverfahren. Entschädigungsklage. Verlängerung der Vorbereitungs- und Bedenkzeit bei zusätzlichen Aufwänden. unstrukturiertes Prozessverhalten des Klägers. verfrühte Verzögerungsrüge. Besorgnis der Verzögerung. Klagezeit von 8 Monaten

 

Orientierungssatz

1. Zusätzliche Aufwände durch eine Prozessführung des Klägers, welche das Gericht zu einer besonders aufwendigen Strukturierung und Aufarbeitung des Akteninhalts zwingt, kann zu einer Verlängerung der regelmäßig zwölfmonatigen Vorbereitungs- und Bedenkzeit des Gerichts führen (hier um 3 Monate auf insgesamt 15 Monate).

2. Eine Verzögerungsrüge ist verfrüht erhoben, wenn zwischen Klageerhebung und Rüge der Verfahrensdauer nur rund acht Monate liegen und keine Verzögerung des Rechtsstreits absehbar ist.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 16.06.2020; Aktenzeichen B 10 ÜG 1/20 R)

 

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

IV. Der Streitwert wird auf 5.400 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt eine Entschädigung für die Dauer eines Gerichtsverfahrens vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main (S 18 KR 181/12) auf dem Gebiet der Krankenversicherung. In der Sache stritten die Beteiligten um die Zahlung von Krankengeld nach dem Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V).

Am 18. März 2012 erhob der Kläger zunächst unter dem Aktenzeichen S 25 KR 181/12 Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main und beantragte, die beklagte AOK Saarland zu verurteilen, ihm auch über den 30. Dezember 2011 hinaus Krankengeld zu zahlen. Noch im März 2012 reichte er in zwei Schriftsätzen ärztliche Befunde bzw. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nach. Bereits am 10. April 2012 beantragte er bei dem Gericht die „Anberaumung eines mündlichen Verhandlungstermins“. Ebenfalls im April 2012 legte das Sozialgericht parallel ein Eilverfahren mit gleichem Rubrum an. Am 10. Mai 2012 erging der Widerspruchsbescheid der AOK Saarland, mit dem unter anderem der Widerspruch des Klägers gegen die Einstellung der Krankengeldzahlung zurückgewiesen wurde. Diesen Widerspruchsbescheid mit eigenen handschriftlichen Anmerkungen und weiteren Anlagen reichte der Kläger am 29. Mai 2012 zur Gerichtsakte. Am 8. Juni 2012 legte die Krankenkasse im Hauptsacheverfahren die Antragserwiderung aus dem Eilverfahren vom 11. April 2012 vor.

Mit Beschluss vom 19. Juni 2012 lehnte der 8. Senat des Hessischen Landessozialgerichts den Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. In den Monaten Juni, Juli, August, September, Oktober und Dezember 2012, sowie Januar, Februar, März, April, Mai und Juni 2013 reichte der Kläger zahlreiche, vorwiegend handschriftliche, umfangreiche Schriftsätze, teilweise mit weiteren ärztlichen Befunden zur Gerichtsakte.

Mit Schriftsatz vom 2. Oktober 2012, eingegangen am 5. Oktober 2012, beantragte der Kläger „wegen der Prozessverschleppung nach dem Prozessverschleppungsgesetz“ ihm 1.200,00 € auszuzahlen.

Im September 2013 legte der Kläger das vom Gericht angeforderte Formular über die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht (S 17c) vor. Aufgrund dieses Formulars holte das Gericht im September 2013 bei sechs Ärzten Befundberichte ein. Der Kläger nahm im September 2013 ebenfalls nochmals umfassend Stellung. Noch im September 2013 teilten zwei der angeschriebenen Ärzte mit, dass der Kläger im fraglichen Zeitraum dort nicht in Behandlung gewesen sei.

Mit Beschluss vom 7. Oktober 2013 bewilligte das Sozialgericht dem Kläger Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung.

Unter dem 26. September 2013 erhob der Kläger eine Entschädigungsklage, die unter dem Aktenzeichen L 6 SF 23/13 EK KR geführt wurde, und beantragte Prozesskostenhilfe. Seinen Antrag auf Prozesskostenhilfe lehnte der erkennende Senat ab. Der Kläger habe bereits keine Tatsachen für eine unangemessene Verfahrensdauer vorgetragen, die die Verfahrensförderung gerade des Sozialgerichts beträfen. Die Wertung, aufgrund der Prüfung im Eilverfahren dürfe das Verfahren nicht länger als sechs Monate dauern, sei angesichts des unterschiedlichen Prüfungsmaßstabes und nach Auffassung des Sozialgerichts offenbar aufklärungsbedürftiger Umstände hinsichtlich der Fortdauer des Krankenversicherungsschutzes mit Krankengeldberechtigung nicht haltbar. Der Kläger trage zudem selbst in einem Höchstmaß zur Schwierigkeit der Bearbeitung des Verfahrens bei: Die Akte sei im Wesentlichen durch eine Vielzahl kurzer und längerer klägerischer Schreiben binnen 18 Monaten auf 264 Seiten angewachsen. Das gesamte Vorbringen des Klägers sei gekennzeichnet durch umfangreiches Vorbringen, dessen Bezug zum Streitgegenstand häufig nicht zu klären sei; aufgrund unzureichender Kenntnisse der deutschen Sprache blieben Passagen unverständlich, die handschriftlichen Eingaben seien schwer lesbar. Trotz Bemühen der Kammervorsitzenden mit Verfügungen vom 12. Juli 2012 und 20. Juli 2012 trage der Kläger weiterhin Umstände vor, deren Verbin...

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