Entscheidungsstichwort (Thema)
MdE-Bewertung. Myopie. Vorschaden
Leitsatz (amtlich)
1. Es wird daran festgehalten, daß die einseitige Erblindung bei gesundem anderen Auge als Eckwert eine unfallbedingte MdE um 25 v.H. hervorruft.
2. Verliert der Verletzte ein Infolge hochgradiger Myopie, die mit einer MdE tun 20 v.H. bemessen ist, vorgeschädigtes Auge durch Arbeitsunfall, so bewirkt diese Vorschädigung allenfalls eine unfallbedingte MdE um wenigstens 10 v.H.
Normenkette
RVO § 581 Abs. 1; SGG § 128
Verfahrensgang
SG Marburg (Urteil vom 22.12.1982; Aktenzeichen S-3/U-106/81) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 22. Dezember 1982 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger wegen des Verlustes des rechten Auges bei Vorschädigung eine Verletztenrente zu zahlen.
Der im Jahre 1936 geborene Kläger erlitt dem Augenarztbericht der Dres. R. und L. (Universitäts-Augenklinik M.) vom 20. Januar 1967 zufolge bei einem Arbeitsunfall am 17. Januar 1967 eine Prellungsverletzung am rechten Auge. Beim Zerschlagen eines Motorblockes mit einem Vorschlaghammer platzte ein Teil ab und schlug ihm gegen das rechte Auge. Während das linke Auge regelrecht war, fand sich bei dem rechten Auge eine unkorrigierte Sehschärfe von 0,05 dptr. Der Kläger wurde stationär behandelt bis zum 21. Januar 1967. Im Entlassungsschreiben an den Hausarzt Dr. S. vom 26. Januar 1967 vermerkten Prof. Dr. S. und Dr. D. u.a., daß die schlechte Sehschärfe des rechten Auges nach Angaben des Klägers schon lange bestanden habe; sie sei auf myopische Dehnungsveränderungen bei hochgradiger Myopie (Kurzsichtigkeit) zurückzuführen. In der Zeit vom 16. Mai bis zum 20. Mai 1967 fand eine weitere stationäre Behandlung in der Universitäts-Augenklinik M. wegen einer Netzhautablösung rechts statt. Nach deren Abschluß konnte der Kläger wieder Handbewegungen in 30 cm Entfernung rechts erkennen. Nach versuchter Korrektur der Totalablösung der Netzhaut 1980 wurde schließlich das rechte Auge am 15. Mai 1981 entfernt. Das 1967 eingeleitete Verwaltungsverfahren endete zunächst ohne förmlichen Abschluß. Auf seinen Antrag vom 16. Mai 1980 auf Gewährung einer Verletztenrente zog die Beklagte die Krankenblattunterlagen der Universitäts-Augenklinik M. von 1967 bis 1980 bei und holte von dieser Klinik das Gutachten des Prof. Dr. S. und des Dr. M. vom 4. November 1980 ein. Darin ist ausgeführt, daß bei dem Kläger eine bereits vor dem Arbeitsunfall bestandene Refraktionsanomalie rechts zu unscharfen Bildern auf der Netzhaut geführt habe. Das rechte Auge habe am Sehakt nicht teilnehmen können. Seine Funktion habe bei maximal 0,05 dptr. gelegen. Das Trauma habe die Netzhautablösung und schließlich völlige Blindheit des Auges bewirkt. Wegen des Vorschadens könne allenfalls eine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 5 v.H. angenommen werden. Dem Ergebnis dieses Gutachtens stimmte Prof. Dr. S. (M.) am 5. März 1981 mit der Maßgabe zu, daß die unfallbedingte MdE mit 10 v.H. zu bemessen sei. Hierauf gestützt, lehnte die Beklagte mit dem Bescheid vom 13. Mai 1981 die Gewährung einer Verletztenrente ab, da kein rentenberechtigender Grad der MdE erreicht werde.
Gegen den am gleichen Tage an ihn abgesandten Bescheid vom 13. Mai 1981 legte der Kläger am 11. Juni 1981 bei der Beklagten Widerspruch ein, den diese nach Beschluß ihrer Widerspruchsstelle vom 8. Oktober 1981 dem Sozialgericht Marburg (SG) gemäß § 85 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Klage zugeleitet hat. Die Beklagte hat im Verfahren des ersten Rechtszuges den augenärztlichen Befundbericht des Priv. Dozenten Dr. W. und des Dr. P. (Universitäts-Augenklinik M.) vom 24. Juli 1981 und die Stellungnahmen der Professores Dr. S. und Dr. S. vom 13. August 1981 und vom 29. September 1982 vorgelegt. Auf ihren Inhalt wird verwiesen. Das SG hat zunächst Befundberichte von dem Hausarzt des Klägers Dr. S. und das Vorerkrankungsverzeichnis von der AOK M.-B. beigezogen und von Amts wegen das augenfachärztliche Gutachten des Prof. Dr. D. und des Oberarztes Dr. S. (Zentrum der Augenheilkunde der Universität F.) vom 10. Mai 1982 eingeholt. Darin ist die Auffassung vertreten worden, daß der Kläger vor dem Arbeitsunfall trotz bestehender Disposition zur Netzhautablösung wegen hoher Kurzsichtigkeit in der Nähe über eine gute Sehschärfe verfügt habe. Nach dem Eintritt der Blindheit rechts müsse die unfallbedingte MdE mit 25 v.H. geschätzt werden; dabei sei der Vorschaden berücksichtigt, da sonst die MdE 30 v.H. betragen würde. Das SG hat sodann die Beklagte unter Berufung auf dieses Gutachten am 22. Dezember 1982 verurteilt, dem Kläger ab dem 15. Mai 1981 Verletztenrente nach einem Grad der MdE um 30 v.H. zu gewähren. Wegen der Einzelheiten wird auf das sozialgerichtliche Urteil verwiesen.
Gegen ...