Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufsunfähigkeit. Berufsschutz. gelernter Facharbeiter. Tätigkeit innerhalb des Berufsbereiches. Beweisanforderungen
Leitsatz (amtlich)
Wenn zwei ehemalige Arbeitskollegen sowie der ehemalige Vorgesetzte über das letzte mehr als 15 Jahre bestandene Beschäftigungsverhältnis des Versicherten als Zeugen gehört worden sind und übereinstimmend ausgesagt haben, daß der Versicherte dort immer als Fliesenleger auf verschiedenen oft sehr großen Baustellen gearbeitet hat, bedarf es jedenfalls dann keiner weiteren Beweiserhebung, etwa durch Anhörung eines berufskundlichen Sachverständigen, wenn nicht außergewöhnliche Umstände vorliegen, die Anlaß zur Vermutung geben, der Versicherte habe als gelernter Fliesenleger innerhalb seines Berufs über längere Zeit hinweg minderqualifizierte Tätigkeiten ausgeübt.
Solche Umstände können auch nicht dadurch geschaffen werden, daß die Beklagte aus berufskundlichen Blättern oder Ausbildungsordnungen unterschiedslos alle Tätigkeiten des Berufs aufzählt und behauptet, es sei nicht erwiesen, daß der Versicherte alle diese Kenntnisse und Fähigkeiten und alle genannten Tätigkeiten ausgeübt habe.
Normenkette
RVO § 1246 Abs. 2
Verfahrensgang
SG Darmstadt (Urteil vom 11.02.1983; Aktenzeichen S-1/J - 450/79) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 11. Februar 1983 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers auch für das Berufungsverfahren zu tragen.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Es geht in dem Rechtsstreit noch um die Gewährung von Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit für die Zeit von August 1979 bis Dezember 1983.
Der Versicherte war am … 1934 geboren und ist am 5. Januar 1984 im Krankenhaus verstorben nach Operation eines akuten Abdomens bei Pankreasschwanz-Carzinom mit Dünn- und Dickdarmileus. Der Rechtsstreit wird fortgesetzt von den Eltern des Versicherten, mit denen er zuletzt zusammen gewohnt hat.
Der Versicherte hat vom 13. September 1950 bis 25. März 1954 das Plattenlegerhandwerk erlernt und am 27. März 1954 die Gesellenprüfung bestanden. Anschließend arbeitete er in seinem erlernten Beruf, und zwar zuletzt von November 1959 bis Februar 1975 bei dem Fa. K. K. in D. bis es arbeitslos wurde. Vom 21. Februar 1977 bis 23. August 1977 nahm er an einer stationären Heilbehandlung in der G. Klinik teil wegen einer offenen rechtsseitigen großkavernösen Lungentuberkulose. Die Entlassung erfolgte als arbeitsfähig. Vom 7. September bis 8. November 1977 wurde er wegen der Folgen eines Verkehrsunfalles in den St. Kliniken D. stationär behandelt. Der Versicherte hatte sich am rechten Bein eine Tibiakopffraktur und eine Unterschenkelfraktur zugezogen.
Am 14. November 1977 beantragte der Versicherte bei der Beklagten die Gewährung von Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. wegen Berufsunfähigkeit. Im sozialärztlichen Gutachten vom 23. Dezember 1977 kam der Internist Dr. D. zu dem Ergebnis, daß der Versicherte als Fliesenleger und in allen sonstigen Erwerbstätigkeiten zur Zeit keine Arbeiten verrichten könne. Die Lungentuberkulose könne als ausgeheilt angesehen werden. Die diätetisch eingestellte Zuckerstoffwechselstörung und die Fettstoffwechselstörung hätten keine nennenswerte erwerbsmindernde Bedeutung. Es müsse jedoch die endgültige Konsolidierung der Frakturen abgewartet werden, womit in wenigen Monaten gerechnet werden könne. Nach endgültiger Frakturheilung könnten mindestens mittelschwere Arbeiten wieder vollschichtig verrichtet werden. Im Gutachten vom 23. Juni 1978 kam der Orthopäde Dr. M. D. zu dem Ergebnis, daß der Versicherte infolge eines in mäßiger Fehlstellung verheilten kniegelenksnahen Schienbeinbruches mit Wackelkniebildung und erheblicher reduzierter Belastbarkeit des rechten Beines unter zusätzlicher Berücksichtigung mäßigen Aufbrauches der Wirbelsäule am Übergang der Brustwirbelsäule zur Lendenwirbelsäule aus orthopädischer Sicht nur für eine sitzende Tätigkeit bis zu sechs Stünden täglich einsatzfähig sei, vorausgesetzt, daß er den Arbeitsplatz mit öffentlichen oder privaten Verkehrsmitteln sehr gut erreichen könne. Mit einer Besserung der Unfallrückstände könne kaum gerechnet werden.
Mit Bescheid vom 24. August 1978 bewilligte die Beklagte Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit ab 1. Oktober 1977. In einem Zusatz wurde darauf hingewiesen, daß die Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente nicht möglich gewesen sei, da der Versicherte als Selbständiger tätig sei. Auf den Widerspruch des Versicherten, mit dem er nachwies, nicht Selbständiger zu sein, gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 20. November 1978 Erwerbsunfähigkeitsrente ab 1. Oktober 1977.
Im sozialärztlichen Nachuntersuchungsgutachten vom 20. März 1979 kam der Internist Dr. D. zu dem Ergebnis, daß die Unfallfolgen soweit abgeklungen seien, daß hieraus eine wesentliche Erwerbsminderung nicht mehr resultiere. Das Bein sei voll belastbar. Der Versicherte könne leichte bis mittelschwere...