Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufsunfähigkeit. Berufsschutz. Verweisbarkeit. Verweisungsberufe in Listenzusammenstellungen. Umfang der Amtsermittlung des Gerichts
Leitsatz (amtlich)
1. Jedenfalls, dann, wenn das Gericht von der Bundesanstalt für Arbeit eine aktenmäßige Sachverständigenauskunft über die berufliche Einsetzbarkeit des Versicherten eingeholt hat, reicht die Bezugnahme der Beklagten auf andere Listen, Auskünfte oder Zusammenstellungen nicht aus, um weitere Ermittlungen bzw. Prüfungen des Gerichts bezüglich der dort aufgeführten Verweisungsberufe auszulösen.
2. Es bleibt dahingestellt, ob die Verfahrensweise der Beklagten, Verweisungsberufe in großer Zahl unter Hinweis auf Urteile zu benennen, ohne schlüssig darzulegen, daß diese Tätigkeiten dem festgestellten Leistungsvermögen des Klägers entsprechen, in jedem Fal Überprüfungen des Gerichts auslösen müssen.
Normenkette
RVO § 1246; SGG § 103
Verfahrensgang
SG Darmstadt (Urteil vom 25.07.1984; Aktenzeichen S-2/J-242/82) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 25. Juli 1984 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers auch für die 2. Instanz zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Es geht in dem Rechtsstreit um die Gewährung von Berufsunfähigkeitsrente ab 1. April 1981.
Des am … 1932 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Der Kläger gibt an, er habe in der Türkei eine 3-jährige Ausbildung zum Maurer zurückgelegt, jedoch keine Prüfung gemacht. Als Maurer sei er in die Bundesrepublik Deutschland seinerzeit angeworben worden. Seit 1963 befindet sich der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland. Er arbeitete hier von Oktober 1963 bis Februar 1969 und März 1971 bis März 1975 als Maurer bei dem Bauunternehmen J. W., von Februar bis Mai 1969 als Kunststoffarbeiter, von Mai 1969 bis Januar 1971 bei der Firma M.-A. KG als Maurer, von April 1975 bis Mai 1978 als Betonwerker bei dem M. Betonwerk R. W. von August 1978 bis August 1979 wieder als Kunststoffarbeiter und von August 1979 bis März 1981 als Maurer bei der Firma St. & Sohn. Im Frühjahr 1980 erlitt der Kläger einen Posterolateralinfarkt und befand sich vom 18. September bis 16. Oktober 1980 im Herz-Kreislaufzentrum in R.. Mit Bescheid vom 13. Januar 1981 anerkannte das Versorgungsamt Darmstadt nach dem Schwerbehindertengesetz einen Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 50 % und führte als Behinderung auf: „Beeinträchtigung der Belastungsfähigkeit des Herzens nach Infarkt”.
Am 10. März 1981 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. wegen Berufsunfähigkeit. Die Beklagte zog einen Befundbericht des praktischer. Arztes Dr. V. vom 23. Februar 1981 sowie einen Arztbrief des Internisten Dr. T. vom 14. Januar 1981 bei und holte ein Gutachten bei Frau Dr. St. von der Sozialärztlichen Dienststelle B. vom 30. Juni 1981 ein. Dr. V. hielt den Kläger als Maurer für berufsunfähig und mutete ihm leichte, möglichst halbtägige Arbeiten im Sitzen ohne Streß und Anstrengungen zu. Frau Dr. St. kam zu dem Ergebnis, der Kläger könne noch vollschichtig leichte und mittelschwere Arbeiter, ohne Zeitdruck verrichten. Dementsprechend wies die Beklagte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 6. August 1981 ab mit der Begründung, seine Erwerbsfähigkeit sei zwar beeinträchtigt durch einen abgelaufenen, gut stabilisierten Herzinfarkt und Fehlstellung der Wirbelsäule, er könne jedoch noch vollschichtig leichte Arbeiten mit Einschränkungen verrichten.
Hiergegen hat der Kläger am 2. September 1981 Widerspruch erhoben. Die Beklagte zog die arbeitsamtsärztlichen Unterlagen bei. Im Gutachten vom 11. Mai 1981 kam der Internist Dr. H. zu dem Ergebnis, der Kläger habe zunächst für ein halbes Jahr sämtliche leichte bis mittelschwere Arbeiten sechs Stunden täglich, danach ab 1. Juni 1981 acht Stunden ohne Zeitdruck, ohne Akkord, ohne Wechselschicht verrichten, können. Die Arbeitsamtsärztin Dr. H. mutete dem Kläger am 23. Dezember 1981 noch vollschichtig leichte, gelegentlich mittelschwere Arbeit zu, überwiegend im Sitzen mit gelegentlichem Aufstehen und Umhergehen, oder im Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Umhergehen ohne Leistungsdruck.
Am 26. Mai 1982 wollte der Widerspruchsausschuß dem Widerspruch nicht stattgeben und legte im vorherigen schriftlich erklärten Einverständnis mit dem Kläger den Widerspruch dem Sozialgericht Darmstadt am 15. Juli 1982 als Klage vor. Die Beteiligten stritten darüber, ob der Kläger als Maurer Berufsschutz genieße oder auf das allgemeine Arbeitsfeld verweisbar sei. Das Sozialgericht hat Befundberichte des Dr. V. vom 17. September 1982 und vom 9. Juni 1983 eingeholt, sowie Arztbriefe des Städtischen Krankenhauses W. vom 20. April 1977, vom 7. Mai 1980, vom 3. Februar 1983 und vom 21. März 1983 beigezogen. Das Sozialgericht hat ferner ein Gutachten bei dem Internisten Dr. K. vom 19. September 1983 eingeholt.
Dieser kam zu dem Ergebni...