Entscheidungsstichwort (Thema)
Anschlußersatzzeit. anschließende Krankheit. Arbeitsunfähigkeit. irreversiblen Verlust von Körperteilen. endgültiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben
Leitsatz (amtlich)
1. Beruht die Arbeitsunfähigkeit bereits auf dem irreversiblen Verlust von Körperteilen (Verlust beider Augen, Verlust des rechten Beines im Oberschenkel, Verlust des rechten Unterarms) kommt die Berücksichtigung einer Anschlußersatzzeit nach § 1251 Abs 1 Nr 1 RVO wegen "anschließender Krankheit" auch dann nicht in Betracht, wenn daneben noch eine behandlungsbedürftige Krankheit besteht.
2. Eine Anschlußersatzzeit wegen "anschließender Krankheit" nach § 1251 Abs 1 Nr 1 RVO liegt auch dann nicht vor, wenn der Versicherte endgültig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden ist, unabhängig davon, ob dies auf Krankheit oder dem Verlust von Körperteilen beruht.
Normenkette
RVO § 1251 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
SG Darmstadt (Urteil vom 30.01.1985; Aktenzeichen S-2/J-320/82) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 30. Januar 1985 wind zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wind zugelassen.
Tatbestand
Es geht in dem Rechtsstreit um die Aberkennung einer Anschlußersatzzeit vom 26. März 1945 bis zum 31. Oktober 1955.
Der am … 1924 geborene und am … 1983 verstorbene F. erlitt am 2. Februar 1944 während seinen Zugehörigkeit zur Wehrmacht eine schwere Kriegsverletzung. Am 25. März 1945 wurde er aus der Wehrmacht entlassen. Die Kriegsverletzung wurde mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 % bewertet. Als Schädigungsfolgen waren im wesentlichen festgestellt worden: Verlust beiden Augen, Verlust des rechten Beines im Oberschenkel, Verlust des rechten Unterarmes, Teilverlust des Ring- und Mittelfingers links, Bewegungseinschränkung sämtlichen Finger links, des Unterarmdrehgelenkes, des linken Kniegelenkes, Trommelfelldefekt beidseits, chronische Mittelohreiterung, Taubheit rechts und Schwerhörigkeit links, Kreislaufstörungen als Folgeerkrankung.
Der Versicherte beantragte am 14. November 1955 bei der Beklagten die Zahlung von Invalidenrente, die ihm mit Bescheid vom 6. April 1956 ab 1. November 1955 gewährt wurde. Als Versicherungsfall wurde das Jahr 1944 zugrundegelegt. Zum 1. Januar 1957 wurde die Rente nach dem Arbeiterrentenversicherungsneuregelungsgesetz (ArVNG) umgestellt.
Der Versicherte entrichtete nach Vollendung des 55. Lebensjahres 12 Monatsbeiträge und beantragte mit Schreiben vom 29. März 1980 die Neuberechnung der Rente nach Art. 2 § 38 Abs. 2 Satz 2 ArVNG. Mit Bescheid vom 2. Juni 1981 wurde die Rente des Versicherten ab 1. April 1980 neu berechnet. Mit am 11. Juni 1981 bei der Beklagten zugegangenem Schreiben vom 9. Juni 1981 hat der Versicherte Widerspruch eingelegt und u.a. die Berücksichtigung der Zeit vom 26. März 1945 bis zum Rentenbeginn begehrt mit dem Hinweis, daß er noch bis Mai 1946 in stationärer Behandlung und anschließend noch öfter in ärztlichen Behandlung gewesen sei. Trotz seiner vielfachen Bemühungen beim Arbeitsamt habe er nicht in Arbeit vermittelt werden können und habe daher im November 1955 seinen Rentenantrag gestellt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19. August 1982 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und begründete dies damit, daß die Zeit vom 26. März 1945 bis 31. Oktober 1955 nicht nach § 1251 Abs. 1 Nr. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) als Ersatzzeit angerechnet werden könne, da der Versicherungsfall der Invalidität am 2. Februar 1944 eingetreten sei und sich bei rückschauend er Betrachtung ergebe, daß seit der Entlassung aus der Wehrmacht bis zum heutigen Tage durchgehend Erwerbsunfähigkeit vorliege. Der Widerspruchsbescheid wurde zwecks Zustellung am 23. August 1982 als Einschreiben zur Post gegeben.
Am 21. September 1982 hat der Versicherte hiergegen Klage erhoben und Bezug genommen auf die neuere Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 11.09.1980 - 5 RJ 120/79 in SozR 2200 § 1251 RVO Nr. 80, vom 20.12.1979 - 4 RJ 50/78). Danach sei sein Anspruch auf Anrechnung der Anschlußersatzzeit gerechtfertigt. Er sei nach seiner Entlassung aus der Wehrmacht weiterhin noch jahrelang wegen seiner Augen und Ohren in ärztlicher Behandlung gewesen, bis er im Jahr 1955 schließlich seinen Rentenantrag gestellt habe.
Die Witwe des Versicherten setzte nach dessen Tod das Verfahren fort. Sie hat zur weiteren Begründung vorgetragen, bei Kriegsopfern handele es sich nicht um Gebrechen, sondern um Schädigungsfolgen nach § 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG). Der Gesetzgeber sei mit der Bestimmung des § 1251 RVO davon ausgegangen, daß der durch den Krieg entstandene Rechtstatbestand bis zum Beginn der Rente auszudehnen gewesen sei.
Die Beklagte hat vorgetragen, eine andere Entscheidung könne schon angesichts des BSG-Beschlusses vom 16.12.1981 (GS 3 und 4/78) nicht ergehen. Zwar handele es sich um eine Entscheidung zu § 1259 RVO, der aber auch für § ...