Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylantragsteller. Kindergeld. Wohnsitz. gewöhnlicher Aufenthalt. Abschiebeverbot
Leitsatz (amtlich)
Die Abschiebung eines Asylantragstellers kann auch dann auf „unbestimmte Zeit” ausgeschlossen sein, wenn die dem Abschiebestopp zugrundeliegenden Erlasse für bestimmte Personenkreise nach § 54 AuslG nur befristet gelten, die Möglichkeit ihrer Verlängerung aber nicht von vorneherein ausschließen
Normenkette
BKGG § 1 Nr. 1, § 1 Abs. 3 i.d.F. v. 9. Juli 1990 (BGBl.I S. 1354); AuslG § 54
Verfahrensgang
SG Gießen (Urteil vom 24.06.1993; Aktenzeichen S-12/Kg-1215/92) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 24. Juni 1993 aufgehoben. Unter Aufhebung des Bescheides vom 31. Juli 1992 und des Widerspruchsbescheides vom 14. Oktober 1992 wird die Beklagte verurteilt, dem Kläger für seine Kinder Sarlascht, Samira, Morssal und Narges in der Zeit von Juni 1992 bis einschließlich Juni 1993 Kindergeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Kindergeld in der Zeit von Juni 1992 bis Juni 1993 streitig.
Der 1963 geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger. Er hat vier Töchter, nämlich Sa. (geb. 01.04.1987), S. (geb. 28.05.1988), M. (geb. 05.01.1992) und N. (geb. 17.04.1993).
Der Kläger reiste am 7. November 1989 aus Afghanistan in die Bundesrepublik Deutschland ein. Die Einreise seiner Ehefrau sowie der Kinder Sa. und S. erfolgte am 26. Dezember 1990. Die Kinder M. und N. sind in der Bundesrepublik Deutschland geboren. Während des streitbefangenen Zeitraums stand der Kläger ohne Unterbrechungen in einem Versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis.
Nach seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland stellte der Kläger einen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte diesen Antrag ab. Die hiergegen erhobene Klage wurde vom Kläger mit Schriftsatz vom 9. Juli 1993 zurückgenommen, nachdem ihm zuvor auf der Grundlage des Erlasses des Hessischen Ministeriums des Innern und für Europaangelegenheiten vom 28. Juni 1993 (Altfallregelung für Asylbewerberinnen und Asylbewerber u.a. aus Afghanistan = StAnz 29/1993, S. 1774) die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis in Aussicht gestellt worden war. Diese Aufenthaltsbefugnis wurde dem Kläger am 12. Juli 1993 vom Landrat des Lahn-Dill-Kreises erteilt.
Am 16. Juli 1992 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Kindergeld. Er berief sich dabei auf die vom Hessischen Ministerium des Innern und für Europaangelegenheiten ergangenen Erlasse über die Aussetzung der Abschiebung von afghanischen Staatsangehörigen vom 30. Dezember 1991 bzw. 20. Januar 1992 (StAnz 5/1992, S. 322) sowie vom 1. Juli 1992 und vom 28. Dezember 1992, die auf der Grundlage des § 54 Abs. 2 Ausländergesetz (AuslG) beginnend mit dem 1. Januar 1992 sukzessive einen jeweils auf sechs Monate befristeten Abschiebungsstopp für afghanische Staatsangehörige vorsahen.
Durch Bescheid vom 31. Juli 1992 wurde dieser Antrag mit der Begründung abgelehnt, der Kläger gehöre nicht zu dem Personenkreis, bei dem unabhängig vom Ausgang des Asylverfahrens von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abgesehen werde. Der Kläger habe deshalb weder seinen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet, so daß er einen Anspruch auf Kindergeld nicht geltend machen könne.
Der Kläger legte dagegen Widerspruch ein. Im Widerspruchsverfahren bestätigte der Landrat des Lahn-Dill-Kreises mit Schreiben vom 16. September 1992, daß der weitere Aufenthalt des Klägers aufgrund der bestehenden Erlaßlage auch im Falle einer rechtskräftigen Ablehnung seines Asylantrages bis zum 31. Dezember 1992 geduldet werde.
Durch Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 1992 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. Im Widerspruchsbescheid wurde ausgeführt, die vom Landrat des Lahn-Dill-Kreises erteilte Auskunft könne einen Anspruch auf Kindergeld nicht begründen. Denn nach § 1 Abs. 3 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) bestehe ein Anspruch für Ausländer, die sich ohne Aufenthaltsgenehmigung im Geltungsbereich dieses Gesetzes aufhielten, nur dann, wenn ihre Abschiebung auf unbestimmte Zeit unzulässig sei oder wenn sie aufgrund landesrechtlicher Vorschriften auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden dürften. Dies sei beim Kläger nicht der Fall. Nach der derzeitigen Erlaßlage bestehe für den Kläger vielmehr lediglich ein Abschiebeschutz bis zum 31. Dezember 1992.
Die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Gießen durch Urteil vom 24. Juni 1993 abgewiesen. Das Sozialgericht hat die Auffassung vertreten, die durch das 12. Gesetz zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes vom 30. Juni 1989 eingeführte Regelung des § 1 Abs. 3 BKGG stelle ein...