Entscheidungsstichwort (Thema)

Zuschluß zum Krankenversicherungsbeitrag Rentner im Ausland. Verjährungseinrede bei bisheriger – unzutreffender – ablehnender Verwaltugspraxis. unzulässige Rechtsausübung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Hat der sich ständig im Ausland (hier: Argentinien) aufhaltende Rentner im Vertrauen auf die jahrelange ablehnend Verwaltungspraxis des Versicherungsträgers seine Ansprüche auf Zuschüsse zum Krankenversicherungsbeitrag (§ 381 Abs. 4 S. 2 RVO) erst verspätet geltend gemacht, nachdem die Rechtslage zu seinen Gunsten geklärt war, so verbieten es Treu und Glauben dem Versicherungsträger die Einrede der Verjährung zu erheben.

2. Eine eindeutig geklärte Rechtslage wurde erst im Laufe einer längeren Entwicklung – Abschluß mit Urteil des BSG vom 20.10.1972 (BSGE 35, 15) gewonnen.

 

Normenkette

RVO § 381 Abs. 4 S. 2, § 29 Abs. 13; BGB § 242

 

Verfahrensgang

SG Frankfurt am Main (Urteil vom 08.08.1974)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 8. August 1974 aufgehoben und der Bescheid der Beklagten vom 17. Dezember 1973 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. März 1974 mit der Maßgabe abgeändert, daß die Beklagte verurteilt wird, dem Kläger den Zuschuß zum Krankenversicherungsbeitrag für die Zeit vom 7. Februar 1966 bis 31. Januar 1969 zu gewähren.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beklagte zahlt dem in A. lebenden Kläger, der deutscher Staatsangehöriger und Verfolgter i.S. des Bundesentschädigungsgesetzes – BEG – ist, seit dem 1. Februar 1966 Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit. Die erste Rentenfeststellung erfolgte mit Bescheid vom 18. September 1969 auf den Rentenantrag des Klägers vom 7. Februar 1966 hin. In der Rentenakte der Beklagen ist vermerkt, daß diesem Bescheid ein „Merkblatt” beigefügt war. Am 24. Januar 1973 beantragte der Kläger die Gewährung eines Zuschusses zu seinem Krankenversicherungsbeitrag nach § 381 Abs. 4 der Reichsversicherungsordnung – RVO –. Die Beklagte gewährte den Beitragszuschuß rückwirkend ab 1. Februar 1969. Für die davorliegende Zeit seit der Rentenantragstellung bis 31. Januar 1969 berief sich die Beklagte auf die Einrede der Verjährung nach § 29 Abs. 3 RVO.

Mit seiner Klage vertrat der Kläger die Ansicht, die Beklagte habe das Widerspruchsverfahren nachzuholen. Im übrigen habe die Beklagte nicht begründet, warum sie die Einrede der Verjährung erhebe.

Die Beklagte holte das Widerspruchsverfahren nach und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 8. März 1974 zurück mit der Begründung, die Geltendmachung der Verjährung könne nicht als unzulässige Rechtsausübung angesehen werden. Es bestünden keine Anhaltspunkte, daß sie an der verspäteten Antragstellung des Klägers ein Verschulden treffe; diese Verspätung sei vielmehr dem Kläger unzurechnen.

Der Kläger trug vor, bis vor einiger Zeit habe die Beklagte Anträge von Rentnern an A. und anderen Staaten, mit denen die Bundesrepublik Sozialversicherungsabkommen nicht abgeschlossen habe, auf Beitragszuschüsse abgelehnt, weil den Rentnern aufgrund der Ruhensbestimmungen und wegen der fehlenden zwischenstaatlichen Verträge ein Beitragszuschuß nicht zustehe. Aufgrund dieser Praxis habe sich bei ihm eine dahingehende feste Auffassung gebildet, so daß er davon Abstand genommen habe, die Beklagte mit dem – seinerzeit aussichtslosen – Antrag auf Beitragszuschuß zu befassen. Ihre Praxis habe die Beklagte erst geändert, nachdem das Bundessozialgericht – BSG – mit dem Urteil vom 28. August 1970 – 3 RK-94/69 – (BSGE 31, 288) entscheiden habe, daß auch solche Rentner Zuschüsse zum Krankenversicherungsbeitrag erhalten können. Die Beklagte habe den Kläger von dem Wandel der Rechtsauffassung unterrichten müssen; es sei der beklagten zuzumuten gewesen, entsprechende Hinweise, z.B. anläßlich der Übersendung von Lebensbescheinigungsformularen, zu geben.

Die Beklagte trug vor, obwohl die Rechtslage zugunsten des Klägers bereits durch das Urteil des BSG vom 28. August 1970 (a.a.O.) geklärt worden sei, habe dieser den Antrag auf Beitragszuschuß erst im Januar 1973 gestellt. Eine Unkenntnis der Rechtslage könne ihn nicht vor Verjährung schützen.

Mit Urteil vom 8. August 1974 wies das Sozialgericht Frankfurt am Main die Klage ab mit der Begründung, dem Kläger sei zuzumuten gewesen, sich um seinen Anspruch auf Beitragszuschuß zu kümmern und einen Antrag vorsorglich zu stellen oder sich beraten zu lassen. Die Geltendmachung der Verjährungseinrede durch die Beklagte sei deshalb nicht ermessensfehlerhaft. Sie verstoße auch nicht gegen Treu und Glauben. Eine Aufklärungspflicht der Beklagten habe nicht bestanden.

Gegen dieses zum Zwecke der Zustellung an den Kläger am 12. August 1974 zur Post aufgelieferte Urteil hat der Kläger mit dem am 19. August 1974 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangenen Schreiben Berufung eingelegt. Er meint, es sei ermessensmißbräuchlich, daß die Beklagte bi...

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