Entscheidungsstichwort (Thema)
Rücknahme eines Bescheides über eine Rentennachzahlung. Hinzuverdienst. grobe Fahrlässigkeit. Anwaltsverschulden
Orientierungssatz
1. Bei der Beurteilung der groben Fahrlässigkeit ist nicht von einem objektiven, sondern von einem subjektiven Fahrlässigkeitsmaßstab auszugehen (vgl BSG vom 9.2.2006 - B 7a AL 58/05, BSG vom 25.4.1990 - 7 RAr 20/89 und BSG vom 24.4.1997 - 11 RAr 89/96).
2. Einem Leistungsempfänger ist immer nur dann grobe Fahrlässigkeit im Rahmen des § 45 Abs 2 S 3 Nr 3 SGB 10 vorzuwerfen, wenn der Fehler ihm bei seinen subjektiven Erkenntnismöglichkeiten aus anderen Gründen geradezu in die Augen springt. Dazu muss er aufgrund einfachster und ganz nahe liegender Überlegungen die Rechtswidrigkeit erkennen können (vgl BSG vom 26.8.1987 - 11a RA 30/86 = BSGE 62, 103 = SozR 1300 § 48 Nr 39). Hiervon ist bei einem Versicherten ohne abgeschlossene Berufsausbildung und bei einer komplizierten Berechnung der Hinzuverdienstgrenze nicht auszugehen.
3. Die vom Versicherten an den Rechtsanwalt für ein Rentenverfahren erteilte Vollmacht endet hier spätestens mit der Annahme des (Teil-)Anerkenntnisses (vgl LSG Mainz vom 7.12.1983 - L 3 U 204/82).
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 11. Mai 2006 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die (teilweise) Rücknahme eines Bescheids über die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente (Bescheid vom 22. April 2002) und die Erstattung eines Teilbetrages in Höhe von 5.000,00 Euro einer für den Zeitraum vom 1. Januar 2001 bis zum 28. Februar 2003 entstandenen Überzahlung in Höhe von insgesamt 10.584,00 Euro streitig.
Der 1941 geborene Kläger verfügt nach eigenen Angaben über keine abgeschlossene Berufsausbildung. Von Dezember 1960 bis März 1961 befand er sich in einem Ausbildungsverhältnis als Kfz-Mechaniker, von April 1961 bis Dezember 1961 leistete er seinen Militärdienst ab, von Dezember 1961 bis Januar 1962 arbeitete er wiederum als Kfz-Mechaniker, von Oktober 1962 bis Mai 1963 als Gärtner, von 1963 bis Dezember 1973 als Automechaniker und war zuletzt seit Januar 1974 als Croupier bei der Spielbank in A-Stadt beschäftigt.
Vom 20. Juli 2000 bis zum 28. Dezember 2000 bezog der Kläger Leistungen von der Krankenkasse sowie vom 29. Dezember 2000 bis zum 24. August 2003 Arbeitslosengeld von der Agentur für Arbeit in X (vormals Arbeitsamt X). Am 2. August 2000 beantragte der Kläger die Gewährung einer Erwerbminderungsrente. Nachdem die Beklagte den Antrag des Klägers zunächst mit Bescheid vom 8. November 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 2001 abgelehnt hatte, erkannte sie in einem anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Wiesbaden (Az.: S 1 RA 249/01) ausgehend von einem Rentenbeginn ab 1. März 2000 das Vorliegen von Berufsunfähigkeit mit Rentenzahlung ab 20. Juli 2000 an. Mit am 9. August 2001 beim Sozialgericht eingegangenen Schriftsatz nahm der Prozessbevollmächtigte des Klägers das (Teil-)Anerkenntnis an und erklärte den Rechtsstreit im Übrigen für erledigt.
Das Anerkenntnis vom 26. Juli 2001 führte die Beklagte mit Bescheid vom 22. April 2002 aus und setzte eine monatliche Rente in Höhe von 626,56 Euro sowie einen Nachzahlungsbetrag in Höhe von 13.266,20 Euro für die Zeit vom 20. Juli 2000 bis zum 30. April 2003 fest. Der Bescheid, der dem Prozessbevollmächtigten - wie zwischen den Beteiligten nicht mehr streitig ist - zugestellt und von diesem an den Kläger weitergeleitet wurde, enthielt auf Seite 3 (Bl.: 226 Verwaltungsakte) den Hinweis, dass die Nachzahlung zunächst einbehalten werde, weil die Ansprüche anderer Stellen, z.B. Krankenkasse, Arbeitsamt, Träger der Sozialhilfe, Arbeitgeber, die im Nachzahlungszeitraum bereits Zahlungen geleistet haben, abschließend zu klären seien. Anlage 19, auf die u. a. auf Seite 5 des Bescheides (Bl.: 227 Verwaltungsakte) hingewiesen wurde, stellte die Hinzuverdienstgrenzen dar. U. a. war dort der Hinweis enthalten, dass sich die Hinzuverdienstgrenze bei einer Rente wegen Berufsunfähigkeit u. a. bei Bezug von Arbeitslosengeld daraus ergebe, dass die Entgeltpunkte des letzten Kalenderjahres vor Eintritt der Berufsunfähigkeit, mindestens jedoch 0,5 Entgeltpunkte, mit einem Vielfachen des aktuellen Rentenwerts vervielfältigt werden. Des Weiteren findet sich dort der Hinweis, dass ausgehend von einem aktuellen Rentenwert in Höhe von 25,31406 Euro für die alten Bundesländer für die Zeit ab 4. April 2002 die monatliche Hinzuverdienstgrenze in voller Höhe das 52,5fache des maßgebenden aktuellen Rentenwertes vervielfältigt mit den Entgeltpunkten 2.273,50 Euro, in Höhe von zwei Dritteln das 70fache des maßgebenden aktuellen Rentenwertes vervielfältigt mit den Entgeltpunkten für die alten Bundesländer 3.031,33 Euro und in Höhe von einem Drittel das 87,5fache des maßgebenden ak...