Entscheidungsstichwort (Thema)

Befugnis eines Widerspruchsausschusses des Rentenversicherungsträgers, rechtlich selbstständige Regelungen zu treffen. Verfassungsmäßigkeit der Differenzierung bei den Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung

 

Orientierungssatz

1. Ein Widerspruchsausschuss des Rentenversicherungsträgers ist nicht befugt, rechtlich selbstständige Regelungen zu treffen, die über den Inhalt des angefochtenen Verwaltungsaktes hinausgehen (vgl BSG vom 20.3.2013 - B 5 R 16/12 R = juris RdNr 26).

2. Die Differenzierung bei den Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung zwischen Eltern von vor dem 1.1.1992 und nach dem 31.12.1991 geborenen Kindern verstößt (weiterhin) nicht gegen das GG.

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 28. Juni 2016 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Anspruch auf Zuerkennung weiterer Entgeltpunkte (EP) für Kindererziehungszeiten hat.

Die 1935 geborene Klägerin ist die Mutter der Kinder D., geboren 1966, und E., geboren 1967.

Mit Rentenbescheid vom 12. Mai 2000 bewilligte die Beklagte der Klägerin Regelaltersrente ab dem 1. Juli 2000. Die Beklagte berücksichtige neben anderen Zeiten Pflichtbeitragszeiten für Kindererziehung vom 1. Mai 1966 bis 30. April 1967 sowie vom 1. August 1967 bis 31. Juli 1968, also je Kind zwölf Monate. Neben den Zeiten der Kindererziehung berücksichtigte die Beklagte vom 1. Mai 1966 bis 22. März 1967 und vom 7. Juni 1967 bis 2. April 1968 Pflichtbeiträge aus einer Nachversicherung. Von insgesamt 8,5572 ausgewiesenen EP entfielen auf Zeiten der Kindererziehung 1,5873 EP. Der Auszahlungsbetrag der Regelaltersrente belief sich auf monatlich 427,55 DM.

Mit Bescheid vom 25. August 2014 berechnete die Beklagte die Regelaltersrente der Klägerin ab dem 1. Juli 2014 anlässlich der Einführung der sogenannten „Mütterrente“ neu. Ausweislich der Anlage 6 des Bescheides berücksichtigte sie für die zwei Kinder der Klägerin zusätzlich je einen EP, insgesamt also zwei weitere EP. Auf die Zeiten der Kindererziehung entfielen damit 3,5873 EP. Insgesamt ergaben sich nun 10,5572 EP und ein Auszahlungsbetrag von monatlich 274,86 €.

Die Klägerin erhob hiergegen am 20. September 2014 Widerspruch und begehrte die Neuberechnung der Rente unter Zugrundelegung von 3 EP, hilfsweise von zwei EP, pro Kind. Sie führte im Wesentlichen aus, dass die Berücksichtigung von lediglich einem EP für jedes vor dem 1. Januar 1992 geborene Kind und die entsprechende gesetzliche Regelung des § 249 SGB VI gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Grundgesetz ≪GG≫), den Schutz der Familie (Art. 6 GG) und den Sozialstaatsgrundsatz (Art. 20 Abs. 1 GG) verstoße. Auch bei Müttern, deren Kinder vor dem 1. Januar 1992 geboren seien - wie auch in ihrem Fall -, müssten je Kind 3 EP angesetzt werden, wie sie Mütter, deren Kinder ab diesem Stichtag geboren seien, erhielten. Es bestünden weder biologische Unterschiede je nach Zeitpunkt der Geburt des Kindes noch seien Unterschiede in der Unterhalts- und Fürsorgepflicht gegeben, die eine unterschiedliche Behandlung von „Alt- und Jungmüttern“ rechtfertigten. Die Möglichkeiten der Mütter, die ihre Kinder vor dem 1. Januar 1992 geboren hätten, eine Berufstätigkeit aufzunehmen, seien zur Zeit ihrer Kindererziehung mangels entsprechender Betreuungs- und anderer Angebote insgesamt sehr viel schwieriger gewesen, als die der Mütter, die ihr Kinder nach dem Stichtag geboren hätten. Wenn überhaupt eine Differenzierung getroffen werden sollte, dann müssten „Altmütter“ für die Kindererziehung mehr EP als „Jungmütter“ erhalten. Im Übrigen könne die verbreitete Altersarmut von Rentnerinnen durch eine höhere Mütterrente reduziert werden. Nach dem Günstigkeitsprinzip seien daher die „Altmütter“ genauso zu behandeln wie die „Jungmütter“. Aufgrund seiner Verfassungswidrigkeit sei § 249 Abs. 1 SGB VI nichtig. Selbst wenn die Regelung nicht nichtig wäre, seien aber insgesamt 4 EP (anstelle von 3,5873 EP) jedenfalls für die Zukunft zu berücksichtigen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26. November 2015 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung erläuterte sie, dass für die Klägerin die Neuregelung des § 249 Abs. 1 SGB VI zum 1. Juli 2014, die die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten im Umfang von 24 Monaten je Kind anstelle von bisher zwölf Monaten vorsehe, nicht greife, weil die Klägerin am 1. Juli 2014 bereits im Rentenbezug war. Für die Klägerin gelte § 307d SGB VI. Wie dem Bescheid vom 12. Mai 2000 entnommen werden könne, seien für Kindererziehungszeiten 1,5873 EP ermittelt worden, die wegen zeitgleicher Pflichtbeiträge aus einer Beschäftigung zu begrenzen gewesen seien. Hinzu käme ab 1. Juli 2014 je Kind ein weiterer EP. Die Beklagte sei nach Art. 20 Abs. 3 GG an Recht und Gesetz gebunden und dürfe nicht prüfen,...

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