Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Zulässigkeit einer Entschädigungsklage gem § 198 Abs 1 GVG. Beginn der Klagefrist gem § 198 Abs 5 S 2 GVG: Rechtskraft der Entscheidung im Ausgangsverfahren. Sechs-Monats-Frist. absolute Ausschlussfrist. Erlöschen des Entschädigungsanspruchs. Ablehnung einer Nichtzulassungsbeschwerde. Herausgabe des BSG-Beschlusses an die Post
Leitsatz (amtlich)
1. Eine nach Ablauf der sechsmonatigen Klagefrist des § 198 Abs 5 Satz 2 GVG erhobene Entschädigungsklage führt dazu, dass der materiellrechtliche Anspruch auf Entschädigung erlischt.
2. Bei der Klagefrist des § 198 Abs 5 Satz 2 GVG handelt es sich um eine absolute Ausschlussfrist, die unabhängig von der Kenntnis des Anspruchsinhabers vom Fristbeginn beginnt.
3. Die Klagefrist des § 198 Abs 5 Satz 2 GVG beginnt mit Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung. Für den Fall der Ablehnung einer Nichtzulassungsbeschwerde durch das Bundessozialgericht beginnt die Frist, wenn das Bundessozialgericht seinen Beschluss aus dem Gericht heraus an die Post gibt
Normenkette
GVG § 198 Abs. 5 S. 2; SGG § 160a Abs. 4 S. 3
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
4. Der Streitwert wird auf 1.900,00 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um eine Entschädigung infolge einer von der Klägerin geltend gemachten unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens.
Die 1971 geborene Klägerin ist als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 100 anerkannt und Rollstuhlfahrerin. Mit der Bundesagentur für Arbeit (BA) stritt sie um Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für die Zeit vom 1. Februar 2008 bis zum 14. September 2009. Nachdem die BA einen Zuschuss zur Beförderung mit Bescheid vom 19. Februar 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Juli 2008 abgelehnt hatte, erhob die Klägerin dagegen am 14. August 2008 Klage zum Sozialgericht Frankfurt am Main (S 1 AL 449/08). Einen Antrag auf Erteilung eines persönlichen Budgets hatte die BA mit Bescheid vom 10. Oktober 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. November 2008 abgelehnt. Dagegen erhob die Klägerin am 24. November 2008 Klage zum Sozialgericht Frankfurt am Main (S 1 AL 449/08). Das Sozialgericht verband beide Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung (Beschluss vom 14. April 2011) und wies die Klagen mit Urteil vom 18. Januar 2012 (S 1 AL 449/08) ab.
Da der Klägerin keine Sitzungsniederschrift über die mündliche Verhandlung vom 18. Januar 2012 und keine Urteilsausfertigung vorlag, bat sie das Sozialgericht mit Schriftsatz vom 25. April 2012 um die Übersendung. Mit Schriftsatz vom 4. Juni 2012 erinnerte die Klägerin an die Übersendung und erhob eine Verzögerungsrüge gemäß § 198 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG).
Am 15. Juni 2012 erhob die Klägerin Berufung zum Hessischen Landessozialgericht. Am 18. Juni 2012 wurde ihr per Fax das Urteil und die Sitzungsniederschrift vom Sozialgericht Frankfurt am Main übersandt. Das Hessische Landessozialgericht wies die Berufung mit Beschluss vom 13. Februar 2013 (L 7 AL 66/12) zurück. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision wurde vom Bundessozialgericht mit Beschluss vom 4. Juli 2013 als unzulässig verworfen (B 11 AL 39/13 B). Eine beglaubigte Abschrift dieses Beschlusses wurde mit Schreiben des Bundessozialgerichts vom 24. Juli 2013 an das Hessische Landessozialgericht versandt und ging am 31. Juli 2013 dort ein. Die Schlussverfügung der Geschäftsstelle des Bundessozialgerichts datiert vom 24. Juli 2013. Aus der beigezogenen Akte des Bundessozialgerichts ergibt sich, dass der Beschluss an die Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 29. Juli 2013 und an die BA am 31. Juli 2013 zugestellt wurde.
Am 29. Januar 2014 hat die Klägerin Klage zum Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass die Entschädigungsklage zulässig sei, da für den Beginn der sechsmonatigen Klagefrist auf die Zustellung des Beschlusses des Bundessozialgerichts abzustellen sei. Dies ergebe sich aus § 93 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) und aus den Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), die eine Zustellung von Beschlüssen vorsähen. Zudem habe der Bundesgerichtshof entschieden, dass die Rechtskraft des Berufungsurteils erst mit der Zustellung des Zurückweisungsbeschlusses des Revisionsgerichtes eintrete.
Die Klägerin meint, dass die Entschädigungsklage begründet sei, da das Ausgangsverfahren am Sozialgericht Frankfurt am Main (S 1 AL 449/08) eine Überlänge von 19 Monaten habe. Das Verfahren habe von der Klageerhebung am 14. August 2008 bis zur Zustellung des Urteils am 19. Juni 2013 46 Monate und 5 Tage gedauert. Eine Entscheidungsreife hätte innerhalb von 9 Monaten eintreten können, das Verfahren sei jedoch nach der Klagebegründung am 30. März 2009 erst am 13. April 2011 terminiert worden; dadurch ergebe sich eine Verzögerung von 15 Monaten. Hinzu komme die Verzögerung von 4 M...