Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsprüfung. Rufbereitschaftsdienst. Beitragsfreiheit von Zuschlägen für tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit neben dem Grundlohn. Beitragsnachforderung. Arbeitsentgelt. Einrede der Verjährung
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Frage der sozialversicherungsrechtlichen Beitragsfreiheit von Zuschlägen für "tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit neben dem Grundlohn" iS von § 3b Abs 1 EStG bei Rufbereitschaft.
2. Die Formulierung "neben dem Grundlohn" muss bei Rufbereitschaft so verstanden werden, dass der Zuschlag für die Sonn-, Nacht- oder Feiertagsarbeit auf einen für die Zeit der Rufbereitschaft arbeitsvertraglich geschuldeten Grundlohn aufsattelt. Dem Arbeitnehmer muss für die Zeit der Rufbereitschaft nach dem Arbeitsvertrag ein Anspruch auf eine separate, der Höhe nach bestimmte Grundvergütung für die Zeiten des Rufbereitschaftsdienstes zustehen.
Normenkette
EStG § 3b Abs. 1, 2 S. 1; SGB IV § 14 Abs. 1 S. 1, §§ 28d, 28e, 28p Abs. 1 S. 5, § 25 Abs. 1
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 4. März 2013 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert wird auf 17.964,87 Euro festgesetzt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen aus einer Betriebsprüfung in Höhe von 17.964,87 Euro.
Die Beklagte führte vom 19. August 2009 bis 18. März 2010 bei der Klägerin, einem ambulanten Pflegedienst, eine Betriebsprüfung durch. Dabei stellt die Beklagte anhand der Gehaltsabrechnungen für die drei Arbeitnehmerinnen C. A., D. A. und E. E. (Beigeladene zu 1 bis 3) fest, dass für die abgerechneten Zahlungen “Rufbereitschaft PDL (Nacht)" bzw. “Rufbereitschaft Verwaltung„ keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt worden waren.
Der Arbeitsvertrag der Beigeladenen zu 1) vom 24. August 2005 enthielt zur Arbeitszeit und zur Vergütung folgende Regelung:
§ 2 Arbeitszeit/Mehrarbeit
1) Die wöchentliche Mindestarbeitszeit beträgt 40 Stunden.
2) ...
3) Die Mitarbeiterin verpflichtet sich zur Leistung von Überstunden, Mehrarbeit, Sonn- und Feiertagsarbeit sowie zum Nacht- und Bereitschaftsdienst.
§ 3 Entgelt
1) Das monatlich nachträglich bargeldlos zu zahlende Bruttoentgelt beträgt 2.100 Euro.
2) Zuzüglich zu diesem Entgelt pro Stunde werden Zuschläge für Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit gezahlt.
Der Zuschlag für Nachtarbeit beträgt 10 % vom Stundensatz, für Sonn- und Feiertagsarbeit 35 % vom Stundensatz.
...
Entsprechende Regelungen finden sich in den Arbeitsverträgen der Beigeladenen zu 2) und 3), wobei hinsichtlich der Beigeladenen zu 2) eine Teilzeitbeschäftigung von 20 Stunden bei einem Stundenlohn von 12 Euro bzw. später 1.000 Euro monatlich und bei der Beigeladenen zu 3) ab 1. Juni 2006 bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden ein Bruttoentgelt von 2.200 Euro und ab dem 1. Juni 2007 von 2.300 Euro vereinbart war.
In Nachträgen vom 15. Juni 2006 wurden die Arbeitsverträge der Beigeladenen zu 2) bis 3) wie folgt ergänzt:
“Als Pflegedienstleitung sind Rufbereitschaftsdienste von 16.00 Uhr bis 8.00 Uhr des darauf folgenden Tages zu erbringen. Die Rufbereitschaftsdienste richten sich nach dem monatlichen Rufbereitschaftsplan der am Ende des Vormonats erstellt wird. Während der Rufbereitschaft muss die Erreichbarkeit, Fahrbereitschaft und die Möglichkeit zur Dienstaufnahme durch die Mitarbeiterin gewährleistet sein.
Die Vergütung des Rufbereitschaftsdienst der PDL von 16.00 Uhr bis 8.00 Uhr des folgenden Tages ist in der Grundvergütung enthalten.
Für die Nachtstunden des Rufbereitschaftsdienstes von 20.00 Uhr bis 6.00 Uhr fallen Nachtzuschläge in Höhe von 2,-- € pro Stunde an. Das entspricht einem Nachtzuschlag von 20,-- € pro Bereitschaftsdienst (10 nachtzuschlagspflichtige Stunden)."
Mit weiterem Nachtrag vom 9. Mai 2007 wurde bei den Beigeladenen zu 2) und 3) der Nachtzuschlag für die Zeit von 20.00 Uhr bis 6.00 Uhr ab 1. Juni 2007 auf 3 Euro pro Stunde erhöht.
Für die Beigeladene zu 1) liegt eine entsprechende Vereinbarung nicht vor. Sie erhielt in dem streitgegenständlichen Zeitraum Zuschläge für “Rufbereitschaft Verwaltung" in Höhe von 2 Euro pro Stunde ausgezahlt.
Bei der Klägerin wurden Listen geführt, in denen für sämtliche Tage eines Monats die jeweilige/n Arbeitnehmer/innen vermerkt waren, die an dem betreffenden Tag Rufbereitschaft hatten.
Das den Beigeladenen zu 1) bis 3) für Zeiten der Rufbereitschaft (Nacht) geleistete Entgelt rechnete die Klägerin steuer- und beitragsfrei ab. Dementsprechend erhielt bspw. die Beigeladene zu 3) für Dezember 2007 ein Grundgehalt von 2.300 Euro, welches versteuert und verbeitragt wurde, und daneben für 13 Rufbereitschaftsdienste in diesem Monat (13 x 30 Euro) 390 Euro steuer- und beitragsfrei ausgezahlt. Die Beigeladene zu 2) erhielt bspw. für Dezember 2008 ein steuer- und beitragspflichtiges Grundgehalt von 1.000 Euro; für 18 Rufbereit...