Entscheidungsstichwort (Thema)
Erziehungsgeld. Pflegeeltern. Personensorge. Sorgerecht
Leitsatz (amtlich)
§ 1 Abs. 1 Nr. 2 BErzGG setzt keine unbeschränkte Personensorge voraus. Auch die durch § 38 SGB VIII eingeräumte Berechtigung zur Ausübung der Personensorge kann deshalb einen Anspruch auf Erziehungsgeld begründen, sofern es sich bei der eingeleiteten Vollzeit-Familienpflege um eine auf Dauer angelegte Lebensform (§ 33 Satz 1 2. Alt. SGB VIII) handelt (Abgrenzung zu BSG Urt. v. 09.09.1992 – 14 b/4 REG 15/91 = SozR 3 7383 § 1 Nr. 9).
Normenkette
BErzGG § 1 Abs. 1 Nr. 2; SGB VIII §§ 33, 38
Verfahrensgang
SG Frankfurt am Main (Gerichtsbescheid vom 03.01.1994; Aktenzeichen S-22/Eg-999/92) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 3. Januar 1994 aufgehoben. Unter Aufhebung des Bescheides vom 30. Januar 1992 und des Widerspruchsbescheides vom 3. April 1992 wird das beklagte Land verurteilt, der Klägerin für die Betreuung und Erziehung des Pflegekindes Danny Jackson in der Zeit ab dem 4. Dezember 1991 Erziehungsgeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
II. Das beklagte Land hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Erziehungsgeld für die Betreuung und Erziehung des Pflegekindes D. J. der Klägerin in der Zeit ab dem 4. Dezember 1991 streitig.
Die Klägerin ist verheiratet. Sie lebt mit ihrem Ehemann in einem gemeinsamen Haushalt. Jedenfalls in der unmittelbar nach dem 4. Dezember 1991 liegenden Zeit war die Klägerin nicht berufstätig.
Am 4. Dezember 1991 wurde von den Eheleuten K. das am 13. August 1991 in Frankfurt am Main geborene Kind D. J. in unbefristete Vollzeitpflege nach §§ 27, 33 Sozialgesetzbuch VIII – Kinder- und Jugendhilfe – (SGB VIII) aufgenommen. Die unbefristete Pflegeerlaubnis wurde durch das Jugendamt der Stadt Frankfurt am Main erteilt. Das Pflegeverhältnis besteht seit dem 4. Dezember 1991 ununterbrochen fort.
Die leibliche Mutter von D. J. ist am 13. August 1974 geboren. Vor der Geburt ihres Kindes hatte sie zunächst die Absicht gehabt, ihr Kind zur Adoption freizugeben. Nach der Geburt nahm sie von dieser Absicht wieder Abstand.
Bis zur Aufnahme von D. J. in der Familie der Klägerin lebte D. in einem Kleinkinderheim.
Am 23. Dezember 1991 beantragte die Klägerin die Gewährung von Erziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) für die Erziehung und Betreuung von D. J.. Durch Bescheid vom 30. Januar 1992 wurde dieser Antrag abgelehnt. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 3. April 1992 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, § 1 Abs. 1 Nr. 2 BErzGG setze die rechtliche und tatsächliche Personensorge für das in den Haushalt der Klägerin aufgenommene Kind voraus. Diese Voraussetzung sei im Falle von D. J. nicht erfüllt. Nach § 38 KJHG seien den Pflegeeltern mit der Aufnahme eines Pflegekindes lediglich Teile der Personensorge übertragen worden, sofern die leiblichen Eltern dieser Regelung nicht widersprächen. Da nur Teile der Personensorge übertragen seien, komme ein Anspruch auf Erziehungsgeld nicht in Betracht.
Die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Frankfurt am Main durch Gerichtsbescheid vom 3. Januar 1994 abgewiesen. Das Sozialgericht hat die Auffassung vertreten, ein Anspruch auf Erziehungsgeld scheide deshalb aus, weil der Klägerin das Personensorgerecht für das Kind D. J. nicht zustehe. Die in § 1 Abs. 1 BErzGG getroffene Regelung rechtfertige sich daraus, daß erst das Sorgerecht das Rechtsverhältnis begründe, aus dem die Verpflichtung zur Betreuung und Erziehung des Kindes fließe (Hinweis auf BR Drucks. 350/85, S. 14). An dieser, im Wortlaut des Gesetzes deutlich gewordenen Auffassung habe der Gesetzgeber bis heute festgehalten. Ein auf die Änderung des § 1 Abs. 1 Nr. 2 gerichteter Gesetzentwurf der Fraktion der Grünen vom 18. Mai 1990 (BT Drucks. 11/7193), der die Streichung der Beschränkung auf sorgeberechtigte Personen zum Inhalt gehabt habe, habe keine politische Mehrheit gefunden. Ein Vorschlag zur Einführung einer Härteregelung z.B. für Großeltern ohne Sorgerecht (Hinweis auf Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit vom 14. Juni 1989 – BT Drucks. 11/4776, S. 3 f.), sei bei der Neufassung des Bundeserziehungsgeldgesetzes vom 30. Juni 1989 (BGBl. I, S. 1297) ebenfalls nicht berücksichtigt worden. Die getroffene Regelung verstoße auch nicht gegen höherrangiges Recht. Insbesondere gebiete es der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) nicht, daß das Erziehungsgeld auch solchen Personengruppen zukommen müsse, denen das Personensorgerecht nicht zustehe. Insbesondere sei es grundsätzlich nicht als sachfremd anzusehen, wenn der Gesetzgeber eine staatliche Sozialleistung nur dann vorsehe, wenn neben bestimmten tatsächlichen Umständen auch die rechtlichen Voraussetzun...