Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 29. November 1994 aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt vom 3. Januar 1994 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt Erziehungsgeld (Erzg) für ihr Pflegekind D … J … (D).
Das am 13. August 1991 geborene Kind D befindet sich seit dem 4. Dezember 1991 bei der Klägerin in Vollzeit-Familienpflege. Für die Pflege wird von der Stadt Frankfurt am Main Pflegegeld gewährt. Den Antrag auf Gewährung von Erzg für D lehnte das beklagte Land ab, weil der Klägerin für D nicht das Personensorgerecht zustehe (Bescheid vom 30. Januar 1992, Widerspruchsbescheid vom 30. April 1992). Das Sozialgericht (SG) hat die hiergegen gerichtete Klage durch Gerichtsbescheid vom 3. Januar 1994 abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 29. November 1994 den Gerichtsbescheid aufgehoben und die Beklagte zur Gewährung von Erzg verurteilt. § 1 Abs 1 Nr 2 Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) setze keine unbeschränkte Personensorge voraus. Auch die durch § 38 Sozialgesetzbuch – Achtes Buch -(SGB VIII) eingeräumte Berechtigung zur Ausübung der Personensorge könne einen Anspruch auf Erzg begründen, sofern es sich bei der eingeleiteten Vollzeit-Familienpflege um eine auf Dauer angelegte Lebensform iS von § 33 Satz 1 2. Alternative SGB VIII handele.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt das beklagte Land eine Verletzung von § 1 Abs 1 Nr 2 BErzGG iVm § 38 Abs 1 SGB VIII. Das LSG habe zu Unrecht eine der Personensorge vergleichbare dauerhafte rechtliche Beziehung zwischen der Klägerin und ihrem Pflegekind aus dem Vertretungsrecht nach § 38 Abs 1 SGB VIII abgeleitet. Die Mutter des D habe ohne weiteres das Recht, diese Beziehung zu beenden. Auf das Vertretungsrecht aus § 38 SGB VIII könne auch nicht allein deshalb abgestellt werden, weil sonst weder die leiblichen Eltern noch die Pflegeeltern Erzg bekämen. Das LSG übersehe, daß erst in dem Moment, in dem aus der Pflege eine Adoptionspflege werde, das Pflegegeld entfalle und die Pflegeeltern wie „richtige” Eltern unterhaltspflichtig würden. Von diesem Zeitpunkt an stehe ihnen auch Erzg zu.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 29. November 1994 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt vom 3. Januar 1994 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 29. November 1994 zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des beklagten Landes ist begründet. Der Klägerin steht für die Betreuung und Erziehung ihres Pflegekindes D ein Anspruch auf Erzg nicht zu; denn sie zählt nicht zum anspruchsberechtigten Personenkreis. Im möglichen Bezugszeitraum war sie weder Inhaberin des Personensorgerechts für D noch war D mit dem Ziel der Annahme als Kind in ihre Obhut aufgenommen worden (Adoptionspflege).
Der Anspruch auf Erzg setzt nach dem BErzGG vom 6. Dezember 1985 (BGBl I 2154) in der hier maßgebenden, seit dem 1. Juli 1990 geltenden Fassung (Art 2 des Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes vom 17. Dezember 1990, BGBl I 2823 = 1. BErzGÄndG; vgl auch § 39 idF des 2. BErzGÄndG, BGBl 1991 I 2142) voraus, daß dem Anspruchsteller für ein nach dem 31. Dezember 1985 geborenes Kind, mit dem er in einem Haushalt lebt und das er betreut und erzieht (§ 1 Abs 1 Nr 3 BErzGG), die Personensorge zusteht (§ 1 Abs 1 Nr 2 BErzGG).
Der Senat hat bereits mit Urteil vom 9. September 1992 (14b/4 REg 15/91 = BSGE 71, 128, 129 = SozR 3-7833 § 1 Nr 9) entschieden, daß § 1 Abs 1 Nr 2 BErzGG voraussetzt, daß der Anspruchsberechtigte die Personensorge iS von § 1626 Abs 1 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) innehat. Erforderlich ist das umfassende Sorgerecht, das Personen- und Vermögenssorge umfaßt. Die tatsächliche Ausübung der elterlichen Sorge reicht dagegen nicht (vgl hierzu im einzelnen BSG, aaO). Der Klägerin steht für das Kind D das Sorgerecht nicht zu. Sie erfüllt diese Voraussetzung auch nicht dadurch, daß sie das Kind aufgrund einer unbefristeten Pflegeerlaubnis der Stadt Frankfurt nach § 33 SGB VIII in unbefristete Vollzeitpflege genommen hat. Die ihr nach § 38 SGB VIII übertragene Ausübung der Personensorge steht dem Sorgerecht im Hinblick auf die Erziehungsgeldberechtigung nicht gleich. Auch dies hat der Senat im Urteil vom 9. September 1992 (aaO) bereits deutlich gemacht, obgleich es seinerzeit um eine Bezugszeit ging, die vor dem Inkrafttreten des § 38 SGB VIII am 1.1.1991 lag.
Nach § 38 SGB VIII ist die Pflegeperson, die nicht personensorgeberechtigt ist, sofern nicht der Personensorgeberechtigte etwas anderes erklärt oder das Vormundschaftsgericht etwas anderes angeordnet hat, berechtigt, den Personensorgeberechtigten in der Ausübung der elterlichen Sorge zu vertreten, insbesondere bei den in § 38 Abs 1 Nr 1 SGB VIII aufgeführten Rechtsgeschäften des täglichen Lebens. Die Begründung dieser Rechtsposition hängt allein von der faktischen Pflegesituation ab. Die Einräumung einer speziellen Rechtsstellung, aus der die Dauerhaftigkeit des Pflegeverhältnisses abgeleitet werden könnte, wird nicht vorausgesetzt. Hieran ändert auch die Tatsache nichts, daß die Übertragung einer Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII aufgrund eines förmlichen Verwaltungsverfahrens erfolgt. Maßgebend ist, daß die personensorgeberechtigte Mutter im Grundsatz jederzeit die Möglichkeit – uU sogar die Pflicht (vgl BVerfG SozR 2200 § 200 Nr 10; BVerfG Beschluß vom 18.6.1993, 1 BvR 55/93 = FamRZ 1993, 1177) -hat, auch eine Betreuung, die nach § 33 SGB VIII begründet wurde, zu beenden. Die fehlende rechtliche Verfestigung der Beziehung zwischen Pflegeeltern und Pflegekind kann im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz und das Gebot der Rechtssicherheit auch nicht durch eine Prognose auf der Grundlage der jeweiligen tatsächlichen Umstände des Einzelfalles ersetzt werden, wie dies das LSG getan hat. Hinzu kommt, daß die Prognose hier schon deshalb nicht überzeugen kann, weil die Kindesmutter, deren Sorgerecht zu Beginn der für die Klägerin maßgebenden Bezugszeit noch beschränkt war, im Verlauf des möglichen Erzg-Bezugs volljährig wurde.
Das LSG hat seine gegenteilige Auffassung auch damit begründet, daß § 1 Abs 1 Nr 2 BErzGG nicht ein uneingeschränktes Sorgerecht voraussetze, sondern „andere Varianten der Sorgerechtsausübung” ausreichen lasse, was aus der Tatsache deutlich werde, daß auch Minderjährige, deren Sorgerecht ebenfalls eingeschränkt sei, einen Anspruch auf Erzg haben könnten. Dem kann der erkennende Senat nicht beitreten. Die Einschränkung des Sorgerechts bei Minderjährigen ist keine besondere Form der Sorgerechtsausübung. Sie bedeutet allein eine bis zum Eintritt der Volljährigkeit wirkende sachliche Beschränkung des Sorgerechts (vgl Palandt-Diederichsen, BGB, 54. Aufl, § 1673, RdNr 3), berührt aber nicht die Dauerhaftigkeit der Rechtsstellung des Berechtigten. Die Einschränkung entfällt grundsätzlich durch bloßen Zeitablauf. Gegen den Willen des Berechtigten kann die Rechtsstellung nur unter denselben Voraussetzungen entzogen werden, die auch für die Entziehung des (unbeschränkten) Sorgerechts von Volljährigen gelten (§ 1680 BGB). Dies schließt eine Gleichstellung der Sorgerechtseinschränkung von Minderjährigen mit der durch § 38 SGB VIII verliehenen Rechtsstellung aus.
Daß die durch § 38 SGB VIII begründete Berechtigung zur Ausübung der elterlichen Sorge nicht als eine dauerhaft gesicherte Rechtsposition angesehen werden kann, wie sie § 1 Abs 1 Nr 2 BErzGG voraussetzt, wird auch aus der Entstehung dieser Vorschrift und derjenigen über die Erzg-Berechtigung bei Adoptionspflege (§ 1 Abs 3 Nr 1 BErzGG) sowie in Härtefällen (§ 1 Abs 7 BErzGG) deutlich. Im Gesetzgebungsverfahren wurde die Anspruchsvoraussetzung „Personensorge” damit begründet, daß erst das Sorgerecht das Rechtsverhältnis begründe, aus dem die Verpflichtung zur Betreuung und Erziehung des Kindes fließe. Der Gesetzgeber hat diejenigen Fälle, in denen nicht auf die Innehabung des Sorgerechts abzustellen ist, im einzelnen aufgeführt. Nach der ursprünglichen Fassung des BErzGG war dies nur die Adoptionspflege bei vorliegender Einwilligung der Eltern (§ 1 Abs 3 Nr 1 BErzGG) und die Stellung als Stiefvater oder -mutter (Abs 3 Nr 2). Nach Aufhebung des Zustimmungserfordernisses der leiblichen Eltern zur Annahme des Kindes durch Art 10 Nr 1 des 8. AFG-ÄndG (vom 14.12.1987, BGBl I 2602) setzt § 1 Abs 3 Nr 1 BErzGG immer noch die Einleitung des Adoptionsverfahrens voraus (vgl hierzu im einzelnen BSGE 71, 128, 131f, aaO). Die Möglichkeit, vom Erfordernis der Personensorge in Härtefällen absehen zu können, wurde erst mit dem 2. BErzG-ÄndG vom 6.12.1991 (BGBl I 2142) in § 1 Abs 7 Satz 2 BErzGG eröffnet. Der Senat hat bereits im Urteil vom 9. September 1992 (aaO) deutlich gemacht, daß gerade bei den Änderungen der Ausnahmetatbestände in den Gesetzgebungsverfahren mehrfach deutlich gemacht worden ist, daß die bloße Familienpflege ohne Sorgerechtsübertragung und ohne das Ziel der Adoption nicht zu einer Anspruchsberechtigung führen soll (BSGE 71, 128, 130; SozR aaO, S 38 mwN). Dies gilt auch für die nach den Bestimmungen des SGB VIII begründeten Formen der Familienpflege. Denn das SGB VIII ist am 1.1.1991 – und damit in zeitlichem Zusammenhang mit den genannten Änderungen des BErzGG – in Kraft getreten. Das LSG hat sich mit der aufgeführten Entwicklung des BErzGG nicht auseinandergesetzt.
Der Ausschluß von nicht sorgeberechtigten Eltern von der Erzg-Berechtigung ist nicht verfassungswidrig. Dies hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Anschluß an das Urteil des Senats vom 9. September 1992 entschieden (Beschluß vom 22. Dezember 1993, 1 BvR 54/93, FamRZ 1994, 363, SozVers 1994, 77). Entgegen dem Vorbringen der Klägerin im Revisionsverfahren kann der Entscheidung nicht entnommen werden, daß das BVerfG die Erzg-Berechtigung im Hinblick auf § 38 SGB VIII anders beurteilt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen