Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld. Lohnsteuerkarte. Leistungsgruppe. Gleichheitssatz. Sozialstaatsgrundsatz. Unterhaltspflicht. Unterhaltsverpflichtung. geschiedener Ehegatte. Abänderungsklage
Leitsatz (amtlich)
Die Leistungsgruppeneinstufung nach § 111 Abs. 2 Nr. 1 AFG ist nicht verfassungswidrig; sie verstößt weder gegen den Gleichheitssatz noch gegen den Sozialstaatsgrundsatz. Dies gilt auch für den Fall, daß ein Arbeitsloser Unterhaltsverpflichtungen zu erfüllen hat.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 S. 3; AFG i.d.F. vom 18.12.1975 § 111 Abs. 2 S. 2 Nr. 1a; AFG i.d.F. vom 18.12.1975 § 113 Abs. 1
Verfahrensgang
SG Gießen (Urteil vom 22.06.1978; Aktenzeichen S-5/Ar - 21/78) |
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 22. Juni 1978 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Arbeitslosengeldes – Alg –.
Der im Jahre 1925 geborene Kläger meldete sich am 29. November 1977 arbeitslos und beantragte die Gewährung von Alg. Die dem Arbeitsamt vorgelegte Lohnsteuerkarte für das Jahr 1977 enthielt die Eintragung Steuerklasse III – keine Kinder – verheiratet. Die Lohnsteuerkarte für das Jahr 1978 enthielt die Eintragung Steuerklasse II – keine Kinder – geschieden. Die Ehe des Klägers war im Februar 1977 – rechtskräftig mit Wirkung vom März 1977 – geschieden worden; aus dieser Ehe sind drei Kinder hervorgegangen.
Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 6. Dezember 1977 Alg ab 1. Dezember 1977 nach der Leistungsgruppe A. Den Widerspruch des Klägers, in dem dieser auf seine erheblichen Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seiner geschiedenen Ehefrau und den Kindern verwies, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 9. Januar 1978 zurück.
Gegen diesen ihm am 20. Januar 1978 zugestellten Widerspruchsbescheid erhob der Kläger am 25. Januar 1978 Klage. Er trug vor, er sei im Hinblick auf seine Unterhaltsverpflichtung gegenüber seiner geschiedenen Ehefrau in Höhe von 650,– DM monatlich einem verheirateten gleichzustellen; deshalb sei ihm Alg nach der Leistungsgruppe C zu gewähren. Seine Kinder seien nach der Ehescheidung nicht in seinem Haushalt untergebracht gewesen, vielmehr hätten sie sich von Anfang an bei seiner geschiedenen Ehefrau aufgehalten.
Das Sozialgericht Gießen wies die Klage mit Urteil vom 22. Juni 1978 ab; es ließ die Berufung zu. Zur Begründung führte es an, Alg sei zu Recht nach der Leistungsgruppe A bewilligt worden. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Alg nach der Leistungsgruppe C habe der Kläger nicht erfüllt; zur Zeit der Antragstellung sei er nicht mehr verheiratet gewesen, was unabhängig von der noch bestehenden Eintragung in der Lohnsteuerkarte 1977 zu berücksichtigen gewesen sei. Gleichfalls hätten die Kinder des Klägers nicht berücksichtigt werden können, da sie sich von Anfang an bei seiner geschiedenen Ehefrau aufgehalten hätten.
Gegen dieses, an den Kläger am 4. Juli 1978 zur Post aufgelieferte Urteil richtet sich seine zur Niederschrift des Urkundsbeamten beim Sozialgericht Gießen am 14. Juli 1978 eingelegte Berufung.
Mit dieser verfolgt er seinen Anspruch, Alg in Höhe der Leistungsgruppe C ab 1. Dezember 1977 zu erhalten, weiter. Er ist der Auffassung, die Regelung des § 111 Abs. 2 S. 2 Arbeitsförderungsgesetz – AFG – sei, wie er vorliegend angewandt worden sei, verfassungswidrig, als er gegen den Sozialstaatsgrundsatz wie den Gleichheitssatz verstoße. Der Sozialstaatsgrundsatz gebiete die wirtschaftliche Absicherung von geschiedenen Arbeitnehmern, die gleichfalls eine Familie zu unterhalten hätten, jedoch nicht mehr das formale Kriterium einer bestehenden Ehe vorweisen könnten. Die Lasten geschiedener, unterhaltspflichtiger arbeitsloser Arbeitnehmer seien im wesentlichen die gleichen, wie die verheirateter arbeitsloser Arbeitnehmer. Eine unterschiedliche Behandlung dieser beiden Gruppen hinsichtlich der Leistungshöhe verstoße gegen den Gleichheitssatz, der gebiete, wesentlich gleiches gleich zu behandeln. Wer geschieden sei und Unterhaltsleistungen zu erbringen habe, könne nicht mit demjenigen auf eine Stufe gestellt werden, der nicht verheiratet sei und keinerlei Zahlungen für eine nicht mehr bestehende Familie zu erbringen habe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 22. Juni 1978 sowie den Bescheid der Beklagten vom 6. Dezember 1977 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Januar 1978 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld ab 1. Dezember 1977 nach der Leistungsgruppe C zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, die Unterhaltszahlung eines Geschiedenen könne nicht dazu führen, ihn wie einen Verheirateten einzustufen. § 111 Abs. 2 S. 2 AFG sei auch nicht verfassungswidrig; dies werde auch darin deutlich, daß der Umfang der Unterhaltszahlungen den wirtschaftlichen Verhältnissen des Unterhal...