Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Feststellung einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse gem § 48 Abs 1 S 1 SGB 10. maßgeblicher Zeitpunkt. Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. ablehnender Bescheid. Auslegung. weitergehende Wirkung. gesetzliche Unfallversicherung. höhere Verletztenrente. Feststellung weiterer Unfallfolgen
Leitsatz (amtlich)
1. Die Feststellung einer wesentlichen Änderung von Unfallfolgen nach Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung ist nach § 48 Abs 1 S 1 SGB 10 durch den Vergleich der tatsächlichen Verhältnisse zu zwei maßgeblichen Zeitpunkten zu bestimmen.
2. Zu vergleichen sind die unfallbedingten Gesundheitsverhältnisse zum Zeitpunkt der letzten bindend gewordenen Feststellung der Verwaltung mit denen zum Zeitpunkt der Entscheidung des Tatsachengerichts.
3. Eine ablehnende Entscheidung der Verwaltung kommt grundsätzlich als Ausgangspunkt für den Vergleich nicht in Betracht, da diese keine Dauerwirkung enthält.
4. Ein ablehnender Verwaltungsakt kann aber auch einzelne Feststellungen enthalten, die über den Zeitpunkt seiner Bekanntgabe hinaus Wirkungen erzeugen. Dann muss die Auslegung indes ergeben, dass die Beklagte eine sie bindende Regelung mit Wirkung über den Ablehnungsbescheid hinaus erzeugen wollte.
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 2. November 2020 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der 1976 geborene Kläger begehrt von der Beklagten die Anerkennung weiterer Unfallfolgen und eine höhere Rente.
Der inzwischen berentete Kläger war als Vorarbeiter in einem Sägewerk beschäftigt, als ihm am 26. August 2013 eine Palette mit Holz auf seinen Oberkörper fiel, die von einem Gabelstapler gerutscht war. Hierbei zog er sich multiple Frakturen an der Brustwirbelsäule (BWS), eine Fraktur der Wirbel Th11, Th12, eine Schädelprellung sowie eine Wunde am Ohr zu. Die Frakturen der Wirbelsäule (inkomplette obere Berstungsfraktur Brustwirbelkörper (BWK)-12, Deckplatten-Impressionsfraktur BWK-9 bis BWK-11) wurden operativ versorgt. Es erfolgte eine dorsale Spondylodese Th-11 bis L1 und eine ventrale Spondylodese Th-11/Th-12. Am 21. Juni 2014 erfolgte die Metallentfernung der dorsalen Spondylodese.
Die Beklagte gewährte dem Kläger u. a. Leistungen zur Heilbehandlung sowie Verletztengeld. Der Kläger war nach vorhergehender Belastungserprobung ab dem 25. August 2014 (zunächst) wieder arbeitsfähig.
Die Ärzte für Chirurgie/Unfallchirurgie/Orthopädie des Med. Zentrums D. (Dr. E., Dr. F.) stellten in dem „Ersten Rentengutachten“ vom 12. September 2014 fest, wesentliche Unfallfolgen seien die Narbenbildung am Rücken, in der linken Flanke und am linken Beckenkamm, die deutliche Bewegungseinschränkung der BWS und Lendenwirbelsäule (LWS) sowie die radiologisch beschriebenen Veränderungen nach knöchern verheilter Brustwirbelkörper(BWK)12-Berstungsfraktur mit Fixation des Fragmentes BWK-11/BWK-12, nach Beckenkamminterponat des Bandscheibenraumes BWK-11/BWK-12 und die radiologisch beschriebene verstärkte Brustkyphose von 30° oberhalb des Segmentes Th-11/Th-12. Sie erhoben folgende Bewegungsausmaße: Halswirbelsäule Seitneigen 30/0/30°, Rotation 70/0/70°, Brustwirbelsäule/Lendenwirbelsäule Seitneigen 10/0/10°, Rotation 10/0/10°, Ott 30/30, Schober 10/11, Finger-Boden-Abstand (FBA) 30 cm. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bewerteten die Ärzte mit 20 v. H.
Der unfallchirurgische Beratungsarzt der Beklagten G., führte unter dem 28. Oktober 2014 aus, es liege eine erheblich eingeschränkte Seitneigungs- und Rotationsbeweglichkeit der Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule vor. Die Entfaltungsmöglichkeit der Brustwirbelsäule sei nahezu aufgehoben und die Entfaltungsmöglichkeit der Lendenwirbelsäule ebenfalls deutlich herabgesetzt. Es verbleibe ein statisch wirksamer Achsknick von 30°. Unter Berücksichtigung der Rente als vorläufige Entschädigung sei eine MdE in Höhe von 30 v. H. gerechtfertigt.
Mit Bescheid vom 14. November 2014 stellte die Beklagte eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE in Höhe von 30 von Hundert ab dem 23. August 2014 fest. Folgende gesundheitliche Beeinträchtigungen seien auf den Arbeitsunfall vom 26. August 2013 zurückzuführen und bei der Bewertung der MdE zu berücksichtigen:
„Eingeschränkte Beweglichkeit der Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule nach operativer Versteifung des elften und zwölften Brustwirbelkörpers infolge eines Deckplattenkompressionsbruches mit Zerstörung der Bandscheibe am zwölften Brustwirbelkörper und unter Keilwirbelbildung knöchern verheilten Brüchen des neunten, zehnten und elften Brustwirbelkörpers, eine verstärkte Brustkyphose von 30° oberhalb des Segmentes 11./12. BWK, reizlose Operationsnarben; ohne Folgen ausgeheilte Schädelprellung“.
In einem für die Rente auf unbestimmte Zeit von der Beklagten eingeholten „Zweiten Rentengutachten“ vom 24. April 2016 stellten die Ä...