Verfahrensgang
SG Darmstadt (Urteil vom 22.02.1990; Aktenzeichen S-10/Kr-1260/90) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 22. Februar 1990 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin noch bei der Beklagten familienversichert ist.
Die Klägerin lebt von ihrem Ehemann, dem Beigeladenen, getrennt. Dieser ist versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten. Auf Grund notarieller Urkunde … verhandelt vor dem Notar … verpflichtete sich der Beigeladene, für die Zeit des Getrenntlebens bis zur Rechtskraft der Ehescheidung monatlich im voraus 620,– DM als Unterhalt an die Klägerin zu zahlen. Der Beigeladene macht diese Unterhaltszahlungen steuermindernd als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) geltend. Sie werden im gemeinsamen Einkommensteuerbescheid als steuerpflichtige Einkünfte der Klägerin berücksichtigt.
Mit Bescheid vom 1. August 1989 stellte die Beklagte fest, daß der Anspruch der Klägerin auf Familienversicherung zum 31. Dezember 1988 erloschen sei. Auf Grund der Unterhaltszahlungen verfüge die Klägerin über ein Gesamteinkommen, das regelmäßig ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße (450,– DM) überschreite. Gleichzeitig empfahl die Beklagte der Klägerin einen Antrag auf freiwillige Krankenversicherung.
Den hiergegen am 10. August 1989 erhobenen Widerspruch der Klägerin, mit dem diese sich gegen eine Berücksichtigung der Unterhaltszahlungen als Gesamteinkommen wandte, wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 22. September 1989 zurück. Zur Begründung führte die Beklagte aus, daß Unterhaltszahlungen als steuerpflichtiges Gesamteinkommen anzusehen seien, wenn diese, wie im vorliegenden Fall, von dem Finanzamt bei dem Unterhaltspflichtigen steuermindernd als Sonderausgaben und bei der Empfängerin als steuerpflichtige Einkünfte zu berücksichtigen seien.
Hiergegen hat die Klägerin am 4. Oktober 1989 vor dem Sozialgericht Darmstadt Klage erhoben und vorgetragen, daß die Entscheidung der Beklagten zu einer doppelten Veranlagung eines einzigen Einkommens führe. Daß vorliegend steuerrechtlich von der Möglichkeit des begrenzten Ehegatten-Realsplittings Gebrauch gemacht worden sei, müsse unbeachtet bleiben. Eine Übertragung dieser steuerrechtlichen Fiktion auf die sozialversicherungsrechtliche Fragestellung des Bestehens oder Nichtbestehens der Familienversicherung sei rechtlich nicht haltbar. Hierbei sei auch zu berücksichtigen, daß die unterhaltsberechtigte Ehefrau nach der obergerichtlichen Rechtsprechung in Familiensachen verpflichtet sei, bei – freiwilligen – Unterhaltszahlungen auf Verlangen des Unterhaltsschuldners einem solchen steuerrechtlichen Verfahren zuzustimmen. Deshalb müsse es sozialversicherungsrechtlich unerheblich sein, wie sich der Versicherte und dessen von ihm getrenntlebende Ehefrau einkommensteuerrechtlich verhielten.
Durch Urteil vom 22. Februar 1990 hat das Sozialgericht Darmstadt die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufgehoben und festgestellt, „daß die Klägerin familienversichert im Sinne des § 10 SGB V ist.” In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, daß bei der Versicherung von Familienangehörigen nach den gesetzlichen Voraussetzungen zwar abzustellen sei auf das monatliche Gesamteinkommen. Dieser Begriff erfasse auch sonstige Einkünfte nach dem Einkommensteuergesetz. Etwas anderes gelte aber bei Unterhaltszahlungen. Hier sei zu berücksichtigen, daß sich die unterhaltsberechtigte Ehefrau auf Betreiben des wirtschaftlich stärkeren Unterhaltsverpflichteten zum steuerrechtlichen Ehegatten-Realsplitting bereiterklären müsse. Es sei unerträglich, daß die Eheleute somit bei Getrenntleben durch privatrechtliche Vereinbarung entscheiden könnten, ob die unterhaltsberechtigte Ehefrau familienversichert bleibe oder freiwilliges Mitglied der Krankenversicherung werden müsse. Über die im Steuerrecht geltende Gesetzesfiktion und deren Übertragung auf das Sozialversicherungsrecht könne es so durch entsprechende Vereinbarungen der getrenntlebenden Eheleute zu einer Belastung oder Entlastung der Solidargemeinschaft und zu einer Ungleichbehandlung der unterhaltsberechtigten Familienangehörigen kommen. Dies spreche für die Beibehaltung der Familienversicherung bei reinen Unterhaltszahlungen nach dem Ehe- oder Familienrecht vor Rechtskraft der Scheidung. Gerade das begrenzte Ehegatten-Realsplitting im Steuerrecht zeige den Versuch des Gesetzgebers, die Leistungskraft des Unterhaltsverpflichteten nicht noch weiter zu schmälern.
Gegen dieses der Beklagten am 23. April 1990 zugestellte Urteil richtet sich die mit Schriftsatz vom 3. Mai 1990 – eingegangen bei dem Hessischen Landessozialgericht am 8. Mai 1990 – eingelegte Berufung, mit der die Beklagte Aufhebung des Urteils und Abweisung der Klage verfolgt. Die Beklagte verweist in ihrer Begründung auf die Legaldefinitio...