Entscheidungsstichwort (Thema)
gesetzliche Unfallversicherung. bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule. haftungsausfüllende Kausalität. kein belastungskonformes Schadensbild. Offsetdrucker
Orientierungssatz
1. Zur Nichtanerkennung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule eines Offsetdruckers, der über sein gesamtes Berufsleben hinweg hinreichend schwere Lasten heben und tragen musste, als Berufskrankheit gem BKVO Anl 1 Nr 2108 mangels Nachweises des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der beruflichen Belastung und dem Eintritt des Gesundheitsschadens.
2. Die für die Beurteilung des Ursachenzusammenhangs im Rahmen der Berufskrankheiten gem BKVO Anl 1 Nr 2108 wesentlichen Kriterien sind: Das Krankheitsbild - insbesondere in Form eines die Altersnorm überschreitenden Wirbelsäulenbefundes einerseits und eines belastungskonformen Schadensbildes andererseits, das Bestehen einer konstitutionellen Veranlagung bzw weitergehender konkurrierender Erkrankungen sowie die Eignung der belastenden Einwirkung zur Verursachung der Krankheit, biomechanische Begleitumstände wie Körperhaltung und zur Verfügung stehende Hilfsmittel, individuelle Konstitution und zeitliche Korrelation zwischen Erkrankungsverlauf und beruflichen Überlastungen.
3. Die Feststellung einer wesentlich beruflich verursachten Schädigung der Lendenwirbelsäule ist nur dann möglich, wenn Lokalisation und zu erwartende Überbelastungswirkungen korrespondieren. Liegen hingegen an der gesamten Wirbelsäule gleichmäßig verteilte degenerative Veränderungen vor, so spricht dies gegen einen ursächlichen Zusammenhang zwischen schädigenden Einwirkungen und einer vorhandenen Gesundheitsstörung. Insbesondere weist eine polysegmentale Verteilung der Bandscheibenerkrankung mit Beteiligung der Halswirbelsäule und/oder der Brustwirbelsäule auf eine stark konstitutionelle Veranlagung zum Bandscheibenverschleiß hin. Nur ausnahmsweise ist in diesen Fällen eine Anerkennung der beruflichen Einflüsse als wesentliche Teilursache möglich, wenn ausgeprägte arbeitsplatzbezogene Einwirkungen bestanden haben und die Erkrankung im LWS-Bereich erkennbar einen größeren Schweregrad erreicht hat als in den anderen Wirbelsäulenabschnitten.
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts A-Stadt vom 22. April 1999 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung einer bandscheibenbedingten Lendenwirbelsäulen(LWS)-Erkrankung des Klägers als Berufskrankheit (BK) nach Ziffer 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) und deren Entschädigung durch Gewährung einer Verletztenrente.
Der mittlerweile 71-jährige Kläger war ab März 1947 für ein knappes Jahr in der Landwirtschaft beschäftigt und absolvierte ab Februar 1948 eine Lehre als Stellmacher. Anschließend war er Bau- und Möbelschreiner, mit Zimmerarbeiten sowie mit Arbeiten an einer Gattersäge beschäftigt. Ab 1956 bis zum Ausscheiden aus dem Berufsleben im Jahr 1990 übte er die Tätigkeit eines Offsetdruckers aus. Er gab der Beklagten gegenüber an, sowohl in der Landwirtschaft als auch in der Folgezeit bis 1956 täglich schwer gehoben und getragen zu haben und zwar in Tagesschichten von acht, neun und zehn Stunden. Als Offsetdrucker habe er Papierpakete abladen und tragen müssen, habe das Papier in die Druckmaschine stapeln und anschließend bedrucktes Papier in den Aufzug setzen müssen. Dabei habe er Gewichte bis 40 kg 40mal vor dem Körper, 20mal seitwärts des Körpers heben und tragen müssen sowie bis zu 30 kg 15mal auf der Schulter. Vom 19. Februar bis 28. März 1990 absolvierte er ein Heilverfahren auf Kosten der LVA Hessen in Bad S, aus dem er arbeitsunfähig entlassen wurde. Die LVA H gewährte ihm sodann ab 29. März 1990 die Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Die Firma K. S W GmbH und Co. KG in F, bei der der Kläger als Offsetdrucker von August 1960 bis zu seinem Ausscheiden gearbeitet hatte, erstellte die BK-Anzeige vom 18. Januar 1994 und gab darin an, der Kläger habe einer Hebe- und Tragebelastung unterlegen beim Einrichten der Druckmaschinen und beim Stapeln von Papier, wofür technische Hilfsmittel vorhanden gewesen seien. Eine Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung habe er nicht längerfristig ausüben müssen. Der Kläger gab ergänzend an, er habe erste Beschwerden an der gesamten Wirbelsäule ab 1956 gehabt - hauptsächlich sei die LWS betroffen gewesen. Die Beklagte zog die medizinischen Unterlagen der LVA H sowie das Vorerkrankungsverzeichnis des Klägers von der AOK F für die Zeit ab August 1960 bei, in dem eine erste und sodann wiederholte Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen Lumbalgien und sonstigen Wirbelsäulenerkrankungen ab 1962 verzeichnet sind. Beim Versorgungsamt W ist der Kläger als Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 anerkannt ...