Leitsatz
Wenn die Rechtslage nach Ausschöpfung der eigenen Erkenntnismöglichkeiten ungeklärt ist und die Beratung eine einschneidende, dauerhafte, später praktisch nicht mehr korrigierbare rechtliche Gestaltung betrifft, kann der Steuerberater gehalten sein, die Einholung einer Auskunft des Finanzamts zu empfehlen.
Sachverhalt
Die Kläger waren alleinige Gesellschafter einer KG. Anfang 1999 beabsichtigten sie, ihre Anteile zu veräußern. Sie beauftragten die Beklagte, sie steuerlich und rechtlich zu beraten. Dem zunächst mit dem späteren Erwerber ausgehandelten Vertragsentwurf lag das "Tranchenmodell" zugrunde. Die KG sollte in eine GmbH & Co. KG umgewandelt werden und der Käufer zunächst 50 % der Anteile mit 51 % der Stimmen übernehmen. Der Kaufpreis von 7 Mio. DM sollte in Teilbeträgen gezahlt werden, die erste Hälfte im zweiten Halbjahr 1999, die zweite Hälfte in fünf Teilbeträgen jährlich gegen Übertragung von jeweils 10 % der KG-Anteile. Nachdem der Rechtsberater des Käufers eingewandt hatte, die Kläger müssten den gesamten Veräußerungsgewinn bereits im Veranlagungszeitraum 1999 versteuern, stellte der ebenfalls eingeschaltete Steuerberater B ein Optionsmodell vor, das von der Beklagten aufgegriffen wurde. Unter Beifügung des ursprünglichen Vertragsentwurfs beantragte B am 21.9.1999 eine verbindliche Auskunft beim Finanzamt. Am 27.9.1999 – dem ursprünglich geplanten Termin – schlossen die Kläger und der Erwerber einen Anteilskauf- und Optionsvertrag. Am 13.10.1999 bestätigte das Finanzamt die Steuerunschädlichkeit des ursprünglichen Vertragsentwurfs. In der Folge lehnte es der Erwerber ab, die Kaufoption auszuüben; die Kläger konnten die restlichen KG-Anteile nur noch für 1 Mio. DM an den Erwerber veräußern. Das LG hat der Klage auf Ersatz der Differenz zum ursprünglichen Kaufpreis im Wesentlichen stattgegeben. Berufung und Revision blieben erfolglos.
Entscheidung
Zweck der Steuerberatung ist es, die dem Auftraggeber fehlende Sach- und Rechtskunde auf diesem Gebiet zu ersetzen. Pflichtgemäße Steuerberatung verlangt daher sachgerechte Hinweise über die Art, die Größe und die mögliche Höhe eines Steuerrisikos, um den Auftraggeber in die Lage zu versetzen, eigenverantwortlich seine Rechte und Interessen zu wahren und eine Fehlentscheidung zu vermeiden. Dies kann die Verpflichtung des Steuerberaters einschließen, den Mandanten auf die Möglichkeit einer verbindlichen Auskunft des Finanzamts hinzuweisen und diese gegebenenfalls auch zu beantragen.
Diese Pflicht gilt zwar nicht grenzenlos. Hauptaufgabe der steuerberatenden Berufe ist die geschäftsmäßige Hilfeleistung in Steuersachen. Es ist daher zuvörderst Sache des Steuerberaters, selbst den ihm vorgetragenen Sachverhalt daraufhin zu prüfen, ob er geeignet ist, den vom Auftraggeber erstrebten Erfolg herbeizuführen. Rechtsprüfung und -beratung setzen zwingend die Kenntnis der einschlägigen Rechtsnormen voraus. Notfalls muss sich der Steuerberater die mandatsbezogenen Rechtskenntnisse verschaffen und sich auch in eine Spezialmaterie einarbeiten. Regelmäßig braucht der Steuerberater daher die Einholung einer Auskunft des Finanzamts auch dann nicht zu empfehlen, wenn er bei der rechtlichen Durchdringung des ihm unterbreiteten Sachverhalts auf eine Kontroverse in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung oder in der steuerrechtlichen Literatur trifft.
Nach dem Gebot des sichersten Wegs kann die Frage aber anders zu beantworten sein, wenn die Rechtslage nach Ausschöpfung der eigenen Erkenntnismöglichkeiten immer noch ungeklärt und die Angelegenheit von schwer wiegender Bedeutung für die Entscheidung des Mandanten ist. Betrifft die Beratung in einem solchen Fall eine einschneidende, dauerhafte und später praktisch nicht mehr rückgängig zu machende Gestaltung, hat der Steuerberater die Einholung einer Auskunft des Finanzamtes zu empfehlen.
Hier hätte die Beklagte den Klägern daher nahelegen müssen, eine verbindliche Auskunft so rechtzeitig einzuholen, dass diese noch vor dem Notartermin erteilt werden konnte. Die zu veräußernde KG bildete bis dahin die Existenzgrundlage der Kläger; der Erlös aus dem Verkauf sollte ihrer Alterssicherung dienen. Die Versteuerung des gesamten Veräußerungsgewinns in einem Veranlagungszeitraum war für sie finanziell nicht zu verkraften und musste daher "unbedingt" vermieden werden. Die Rechtslage war überdies kompliziert. Nach § 16 EStG gehören zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch Gewinne, die bei der Veräußerung des ganzen Gewerbebetriebs oder des Anteils eines Gesellschafters, der als (Mit-)Unternehmer des Betriebs anzusehen ist, erzielt werden. Eine höchstrichterliche Entscheidung zu der Frage, ob das Tranchenmodell eine Versteuerung des gesamten Veräußerungsgewinns im Jahr des Zuflusses der ersten Kaufpreisrate zur Folge hat, lag im Jahr 1999 nicht vor. Aufgrund verschiedener Äußerungen in Rechtsprechung und Literatur war aber davon auszugehen, dass diese Möglichkeit ernsthaft in Betracht kam.
Praxishinweis
Die Heran...