Dr. Wolf-Dietrich Deckert†
Leitsatz
Die Durchsetzung eines bestandskräftig beschlossenen generellen Hundehaltungs-Verbots in einer Wohnanlage kann im Einzelfall nach dem Grundsatz von Treu und Glauben unzulässig sein
Bewilligte Prozesskostenhilfe
Normenkette
§ 10 Abs. 1 Satz 2 WEG, § 15 Abs. 1 WEG, § 242 BGB
Kommentar
1. In einer Gemeinschaft wurde bereits 1983 in Änderung der etwas "liberaleren" Hausordnung beschlossen, dass in der Wohnanlage keine Hunde, Katzen und Hasen gehalten werden dürfen; dieser Beschluss wurde bestandskräftig. 1986 erwarb eine schwer contergangeschädigte und aufgrund ihrer Behinderung arbeitslose Eigentümerin eine Wohnung; sie schaffte sich 1998 ohne Genehmigung des Verwalters einen Hund an. Nachfolgend wurde seitens der restlichen Eigentümer (Antragsteller) vorgetragen, dass bei der Hausverwaltung Beschwerden eingegangen seien, dass der Hund häufig bis 23 Uhr belle und dass vor dem Hauseingang öfters Hundekot liege. Die Antragsgegnerin trug vor, dass sie aufgrund ihrer Krankheit an die Wohnung gebunden sei und kaum Kontakt zu anderen Menschen unterhalte; der Hund sei - wie ärztlicherseits bestätigt - zur Stabilisierung ihres seelischen Zustandes wichtig.
Amtsgericht und Landgericht entschieden auf Unterlassung der Hundehaltung und Entfernung des Hundes aus der Anlage. Im Rechtsbeschwerdeverfahren wurde der Antragsgegnerin Prozesskostenhilfe bewilligt.
Der Senat wies die Streitsache unter Aufhebung der landgerichtlichen Entscheidung zum Zwecke weiterer Amtsermittlungen sowie erneuter Verhandlung und Entscheidung an das LG zurück.
2. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BGH (BGHZ 129, 329) und des Senats (BayObLGZ 1995, 42) ist grundsätzlich davon auszugehen, dass aufgrund eines unangefochtenen Mehrheitsbeschlusses (hier von 1983) die Hundehaltung in der Wohnanlage generell verboten ist. Die Durchsetzung dieses Verbotes steht allerdings unter dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben im Rechtsverkehr ( § 242 BGB) und kann daher im Einzelfall unzulässig sein.
Im vorliegenden Fall muss den Behauptungen der Antragsgegnerin, dass sie zur Erhaltung ihrer Lebensqualität auf das Halten eines Hundes angewiesen sei, vom LG noch näher nachgegangen werden; zu klären ist hier insbesondere, was unter dem Begriff "Erhaltung der Lebensqualität" im konkreten Fall zu verstehen ist. Hier wird sicher auch eine ärztliche Bescheinigung Berücksichtigung finden müssen, mit dem Ergebnis, dass das Halten des Hundes der Antragsgegnerin zur Stabilisierung ihres seelischen Zustandes wichtig sei. Berücksichtigt werden müsse auch der Vortrag, dass die Antragsgegnerin aufgrund ihrer Behinderung seit Verlust ihres Arbeitsplatzes praktisch ohne Sozialkontakt und deshalb in besonderer Weise auf das Halten des Hundes angewiesen sei. Bisher habe das LG nicht näher begründet, weshalb im vorliegenden Ausnahmefall die Durchsetzung des Verbotes nicht gegen Treu und Glauben verstoße. Im Einzelfall könne eine Verbotsdurchsetzung selbst dann gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen, wenn hier eine Erwerberin bei Wohnungskauf nicht erforderliche Erkundigungen über die Beschlusslage der Gemeinschaft eingezogen haben sollte, wobei auch zu klären sei, ob überhaupt schon im Jahre 1986 die gesundheitlichen Störungen vorgelegen hätten. Im Rahmen der Amtsermittlung müsste das LG die Antragsgegnerin auch persönlich anhören und ggf. auch den behandelnden Arzt oder einen Gutachter.
3. Vorliegend lagen auch die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe vor ( § 14 FGG, § 114 ZPO, § 115 ZPO). Die Antragsgegnerin habe weder über Einnahmen noch über einsetzbares Vermögen im Sinne des § 115 Abs. 2 ZPO und § 88 BSHG (Bundessozialhilfegesetz) verfügt; gem. § 121 Abs. 2 ZPO war ihr deshalb ein Rechtsanwalt als Verfahrensbevollmächtigter beizuordnen.
4. Geschäftswert für die Rechtsbeschwerdeinstanz von 3.000,-
Link zur Entscheidung
( BayObLG, Beschluss vom 24.08.2000, 2Z BR 58/00)
zu Gruppe 5: Rechte und Pflichten der Miteigentümer
Anmerkung:
Im vorliegenden Fall steht sicher eine noch sehr schwierige Wertungsentscheidung des LG zur Diskussion, bestätigt sich das psychische Krankheitsbild dieser Miteigentümerin sowie eine Verschlechterungsprognose ihres seelischen Zustandes bei Durchsetzung eines Gebotes, sich von ihrem bisherigen Hund trennen zu müssen. Allerdings dürfen Güteraberwägungsüberlegungen auch die Interessen anderer Eigentümer auf gewisse Ruhe "unter gemeinsamen Dach" und Vermeidung unnötiger Verschmutzungen im Bereich des Gemeinschafseigentums nicht unberücksichtigt bleiben. Kann die Antragsgegnerin deshalb keine ausreichenden Vorkehrungen treffen oder treffen lassen, die wohl ebenfalls bewiesenen oder beweisbaren Störungen des Gemeinschaftsfriedens durch ihren jetzigen Hund abzustellen, meine ich, dass es ihr auch zumutbar wäre, schlimmstenfalls einen "anderen Lebensgefährten" in ihre Wohnung aufzunehmen, von dem nicht die besagten Störungen ausgehen. Es macht doch keine Sinn, dass andere Mitbewohner im Haus durch nächtliches ...