Leitsatz
Kernproblem dieser Entscheidung war die Durchbrechung der Rechtsausübungssperre des § 1600d Abs. 4 BGB im Regressprozess des Scheinvaters gegen den mutmaßlichen Erzeuger namentlich dann, wenn das Kind anderenfalls rechtlos gestellt wäre, da weder Kindesmutter noch mutmaßlicher Erzeuger zu einer gerichtlichen Feststellung der Vaterschaft bereit sind.
Sachverhalt
Der Kläger nahm den Beklagten auf Zahlung von Kindesunterhalt in Anspruch und verlangte im Wege der Stufenklage zunächst Auskunft über dessen Einkünfte. Während der 1989 geschlossenen und im Jahre 2004 geschiedenen Ehe des Klägers mit seiner geschiedenen Ehefrau hatte diese drei Kinder geboren. Mit rechtskräftigem Urteil des FamG vom 23.12.2003 war festgestellt worden, dass der Kläger nicht deren Vater ist. Die Vaterschaft zu den drei Kindern war bislang weder anerkannt noch gerichtlich festgestellt. Der Beklagte ist der Lebensgefährte der Kindesmutter. Der Kläger behauptet, außer ihm selbst habe nur dieser während der gesetzlichen Empfängniszeiten Geschlechtsverkehr mit der Kindesmutter gehabt.
Der Kläger vertrat die Auffassung, seiner Klage stehe nicht entgegen, dass die Vaterschaft des Beklagten nicht feststehe. Sowohl er als auch die Kindesmutter als alleinige Vertreterin der Kinder weigerten sich, die gerichtliche Klärung der Vaterschaft herbeizuführen. Der Beklagte sei auch nicht bereit, auf Kosten des Klägers an einem außergerichtlichen DNA-Test mitzuwirken. Unter diesen Umständen sei § 1600d Abs. 4 BGB nicht anwendbar.
Das AG hat die Klage in der Auskunftsstufe insgesamt abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Hiergegen richtete sich die zugelassene Revision des Klägers, mit der er sein Begehren weiterverfolgte.
Die Revision hatte Erfolg und führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das OLG.
Entscheidung
Der BGH hat mit dem vorliegenden Urteil zugunsten des Scheinvaters die Mauer des § 1600d Abs. 4 BGB durchbrochen und seine frühere Rechtsprechung geändert. In besonders gelagerten Fällen ständen die Erwägungen der früheren Rechtsprechung einer heutigen Durchbrechung der Rechtsausübungssperre nicht entgegen, um schlechthin untragbare Ergebnisse zu vermeiden. Insoweit hatte der BGH bereits in seiner früheren Entscheidung auf gesetzliche Ausnahmen hingewiesen und eine Ausnahme im Fall des Regresses gegen einen Rechtsanwalt, der die Frist zur Vaterschaftsanfechtung versäumt hatte, zugelassen (BGH v. 3.11.1978 - IV ZR 199/77, BGHZ 72, 299 = FamRZ 1979, 112).
Die Rechtslage habe sich inzwischen in zwei Punkten entscheidend geändert. Durch Aufhebung der Amtspflegschaft zum 30.6.1998 sei dem Jugendamt die gesetzliche Vertretung entzogen worden, so dass der Kläger praktisch rechtlos gestellt wäre, da weder die Kindesmutter noch der mutmaßliche Erzeuger Bereitschaft zeigten, dessen Vaterschaft gerichtlich feststellen zu lassen. Des Weiteren sei die Statuswahrheit nicht mehr uneingeschränkt mit der Verwandtschaft verbunden, nachdem zum 1.4.2008 die Vaterschaft unabhängig vom Anfechtungsverfahren in einem gerichtlichen Verfahren geklärt werden könne.
Dies rechtfertige angesichts dieser neuen Rechtslage, Bedenken gegen eine Inzidentfeststellung zurückzustellen, zumal diese im Regressprozess des Scheinvaters gegen den Erzeuger nicht in Rechtskraft erwachse. Sie sei lediglich eine Vorfrage für das Bestehen des Anspruchs. Andererseits sei diese Feststellung nur unter engen Voraussetzungen zulässig.
Voraussetzung sei zum einen, dass davon ausgegangen werden könne, dass ein Vaterschaftsfeststellungsverfahren auf längere Zeit nicht stattfinden werde. Zum anderen seien die Voraussetzungen darzulegen, an welche § 1600d Abs. 2 BGB die Vermutung der Vaterschaft knüpfe.
Hinweis
Der BGH hat mit dieser Entscheidung seine frühere Rechtsprechung zur Statuswahrheit geändert und eine Inzidentfeststellung der Vaterschaft in Ausnahmefällen zugelassen. Eine konsequente Entscheidung im Hinblick auf die geänderten Rechtsnormen zu Lasten des Jugendamtes und zur losgelösten Anfechtung der Vaterschaft.
Link zur Entscheidung
BGH, Urteil vom 16.04.2008, XII ZR 144/06