Rz. 104
Der Testierende kann ein Testament bis zu seinem Tod jederzeit durch Errichtung eines neuen Testaments ändern (sog. revocation). Dies gilt auch dann, wenn in einem früheren Testament steht, dass es unwiderruflich sein soll.
Rz. 105
Ein Testament wird darüber hinaus widerrufen durch Verbrennen, Zerreißen oder sonstige Zerstörung in Widerrufsabsicht durch den Testierenden selbst oder durch eine andere Person in seiner Gegenwart und auf seine Weisung (Sec. 85 (2) Var. 2 ISA). Im irischen Recht besteht eine Vermutung, dass der Testierende ein Testament, das er selbst verwahrt hat und das bei seinem Tod nicht mehr auffindbar ist, animo revocandi vernichtet hat. Diese Vermutung gilt allerdings als widerlegt, wenn bewiesen wird, dass ein wirksam errichtetes Testament zum Todeszeitpunkt noch vorhanden war oder die Zerstörung durch Umstände ohne Widerrufsabsicht dargelegt wird und zudem eine authentische Kopie vorgelegt wird. Um das Eingreifen dieser Vermutung zu verhindern, werden Testamente in Irland häufig von Anwälten (solicitors) verwahrt.
Die Widerrufsabsicht kann auch unter einer Bedingung bestehen, so etwa dahingehend, dass der Widerruf nur in Hinblick auf die Errichtung eines neuen Testaments erfolgen soll.
Rz. 106
Ein Widerruf kann auch durch formwirksames Widerrufstestament oder durch Widerrufserklärung in der für Verfügungen von Todes wegen vorgeschriebenen Form erfolgen (Sec. 85 (2) Var. 1 ISA). Wird dagegen lediglich ein neues Testament errichtet, ohne dass dieses einen Widerruf anordnet, so sind grundsätzlich beide Testamente wirksam. Soweit aber das neuere Testament dem früheren inhaltlich widerspricht, werden frühere Verfügungen widerrufen (sog. implied revocation). Ein neues Testament, das lediglich Wiederholungen und Ergänzungen zu einem früheren Testament enthält, wird "codicil" genannt (siehe Rdn 58).
Rz. 107
Um Schwierigkeiten bei der Feststellung des Widerrufswillens entgegenzuwirken, empfiehlt es sich, das Testament mit einer allgemeinen Widerrufsklausel (general revocation clause) zu beginnen.
Rz. 108
Sec. 85 (1) ISA statuiert eine Widerrufsfiktion für den Fall der Eheschließung oder der Begründung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft nach Errichtung eines Testaments. Danach wird der Widerruf des Testaments durch die Eheschließung bzw. die Partnerschaftsbegründung fingiert. Dies gilt jedoch nicht, wenn das Testament in Hinblick auf eine konkrete, nachfolgende Eheschließung oder Begründung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft errichtet wurde (in contemplation of marriage). Es empfiehlt sich, eine entsprechende Formulierung in das Testament aufzunehmen. Eine allgemeine Formulierung, der zufolge die spätere Eheschließung oder die Begründung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft die Wirksamkeit der Verfügung unberührt lassen soll, geht dagegen ins Leere.
Für den Scheidungsfall oder die Eheauflösung besteht eine solche Widerrufsfiktion nicht; Gleiches gilt für die eingetragene Lebenspartnerschaft. Somit sind in diesen Fällen bestehende Verfügungen zu überprüfen und ggf. zu widerrufen bzw. anzupassen.
Rz. 109
Durch den Marriage Act 2015 wurde Sec. 85 (1A) ISA eingefügt. Nach dieser Vorschrift gilt die Widerrufsfiktion nicht für Testamente, die ein Lebenspartner in Anbetracht der Eingehung der eingetragenen Lebenspartnerschaft oder während dieser errichtet hat, wenn die Partner einer eingetragenen gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft einander später heiraten. Eine Bezugnahme auf den eingetragenen Lebenspartner wird in der Folge als Bezugnahme auf den Ehegatten ausgelegt.
Rz. 110
Ein widerrufenes Testament kann durch erneute (formgültige) Errichtung wieder Geltung erhalten sowie durch einen codicil, in dem der Errichtende zum Ausdruck bringt, dass er das frühere Testament wiederaufleben lassen möchte (revival, Sec. 87 ISA). Diese Vorgehensweise ist jedoch nicht möglich, wenn das frühere Testament vernichtet worden ist. Der bloße Widerruf des Widerrufstestaments führt dagegen nicht dazu, dass ein früheres Testament wiederauflebt. Bezieht sich die Anordnung des Wiederauflebens auf ein Testament, das zunächst nur teilweise und dann vollständig widerrufen worden ist, lebt dieses im Zweifel in der Form wieder auf, die es zuletzt hatte.
Angesichts der Rechtsunsicherheiten in Hinblick auf die Wirksamkeit des Wiederauflebens empfiehlt sich regelmäßig die Errichtung eines neuen Testaments; ein revival sollte für Notsituationen vorbehalten bleiben. Vom revival ist die republication (etwa "Neuveröffentlichung") zu unterscheiden, bei der ein gültiges Testament auf den Zeitpunkt der republication vordatiert wird. Auch hierfür müssen die Vorschriften für die Testamentserrichtung beachtet werden.