Leitsatz
Der eine fristlose Kündigung begründende Zahlungsverzug entfällt nicht wegen fehlenden Verschuldens des Mieters, wenn dieser bei der Anwendung verkehrsüblicher Sorgfalt hätte erkennen können, dass die tatsächlichen Voraussetzungen des von ihm in Anspruch genommenen Minderungsrechts nicht bestehen (im Anschluss an BGH, Urteil v. 25.10.2006, VIII ZR 102/06, NZM 2007 S. 35).
(amtlicher Leitsatz des BGH)
Normenkette
BGB §§ 276 Abs. 1; 286 Abs. 4; 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3
Kommentar
Zwischen den Parteien bestand seit dem 1.9.2007 ein Mietverhältnis über ein Einfamilienhaus zu einer Monatsmiete von 1.550 EUR. Nach 16-monatiger Mietzeit, also im Dezember 2008, zeigten die Mieter den Vermieterinnen an, dass sich im Haus Schimmel und Kondenswasser gebildet habe; dies sei auf bauliche Mängel des Gebäudes zurückzuführen. Die erbetene Abhilfe haben die Vermieterinnen verweigert; sie vertreten die Ansicht, dass der Mangel infolge eines fehlerhaften Heizungs- und Lüftungsverhaltens entstanden sei.
Die Mieter haben die Miete ab März 2009 um 20 % (= 310 EUR monatlich) gemindert. Auf diese Weise entstand bis Januar 2010 ein Mietrückstand von 3.410 EUR. Die Vermieterinnen erhoben zunächst Klage auf Zahlung der Mietrückstände. Im Januar 2010 kündigten sie das Mietverhältnis fristlos. Den Räumungsanspruch machten sie klageerweiternd geltend.
Das Amtsgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens festgestellt, dass die Mangelursache in einem unzureichenden Heizungs- und Lüftungsverhalten liege. Es hat die Mieter mit Urteil vom 27.5.2010 zur Zahlung der Rückstände und zur Räumung verurteilt. Gegen das Räumungsurteil haben die Beklagten Berufung eingelegt. Im Juni 2010 zahlten die Mieter einen Teil des Rückstands. Die ab Juli 2010 fällige Miete zahlten die Mieter unter Vorbehalt. Im Verlauf des Berufungsverfahrens zahlten die Mieter auch den restlichen Rückstand, worauf die Parteien die Zahlungsklage übereinstimmend für erledigt erklärten. Die noch anhängige Räumungsklage wurde vom Landgericht abgewiesen. Zwar habe im Januar 2010 ein Rückstand von mehr als 2 Monatsmieten bestanden, sodass der Tatbestand des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB vorgelegen habe. Jedoch fehle es am Verzug, weil hinsichtlich der Verschuldensfrage ein großzügiger Maßstab anzuwenden sei.
Der BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Mieter zur Räumung verurteilt: Ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung liegt u.a. dann vor, wenn der Mieter in einem Zeitraum, der sich über mehr als 2 Termine erstreckt, mit der Entrichtung der Miete in Höhe eines Betrags in Verzug ist, der die Miete für 2 Monate erreicht (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB). Die rechnerischen Voraussetzungen dieses Kündigungstatbestands lagen zum Zeitpunkt der Kündigung vor: Im Januar 2010 betrug der Rückstand 3.410 EUR; das sind mehr als 2 Bruttomieten.
Fraglich war hier allein, ob die Verzugsvoraussetzungen gegeben waren. Grundsätzlich liegt Verzug vor, wenn der Mieter die Miete zum Fälligkeitstag nicht oder nicht vollständig zahlt (§ 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Jedoch ist in § 286 Abs. 4 BGB bestimmt, dass der Schuldner nicht in Verzug kommt, solange die Leistung infolge eines Umstands unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat. Der Verschuldensmaßstab richtet sich dabei nach § 276 Abs. 1 BGB. Danach hat der Schuldner grundsätzlich Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Nach § 276 Abs. 2 BGB handelt fahrlässig, "wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt". Nach ständiger Rechtsprechung des BGH (Urteil v. 25.10.2006, VIII ZR 102/06, NJW 2007 S. 428; Urteil v. 15.5.2012, VIII ZR 246/11, NJW 2012 S. 2186; Urteil v. 12.7.2006, X ZR 157/05, NJW 2006 S. 3271) gilt hinsichtlich der vom Schuldner zu beachtenden Sorgfaltspflicht ein strenger Maßstab: "Der Schuldner muss die Rechtslage sorgfältig prüfen, soweit erforderlich Rechtsrat einholen und die höchstrichterliche Rechtsprechung sorgfältig beachten ... Entschuldigt ist ein Rechtsirrtum nur dann, wenn der Irrende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit einer anderen Beurteilung durch die Gerichte nicht zu rechnen brauchte. Nach allgemeinen Grundsätzen muss der Mieter darlegen und beweisen, dass er ohne Verschulden an der Entrichtung der Miete gehindert war."
Ein schuldausschließender Rechts- oder Tatsachenirrtum wird also in Fällen der vorliegenden Art so gut wie nie vorliegen.
Mieter unter Vorbehalt der Prüfung zahlen
Dem Mieter ist deshalb zu raten, im Zweifelsfall die volle Miete unter Vorbehalt zu zahlen und sodann den Bereicherungsanspruch wegen rechtsgrundloser Zahlung geltend zu machen. In diesem Verfahren kann die Berechtigung zur Minderung überprüft werden, ohne dass dies mit dem Risiko des Wohnungsverlusts verbunden ist.
Link zur Entscheidung
BGH, Urteil v. 11.7.2012, VIII ZR 138/11, NJW 2012 S. 2882