Dr. Anton Wiedemann, Dr. Tereza Pertot
Rz. 16
Die Anfechtung oder Nichtigkeit richtet sich auf die Eheschließung. Sie hindert eine Auflösung der Ehe durch Scheidung, während sie ausgesprochen werden kann trotz der Auflösung der Ehe durch Tod eines Ehegatten. Die Klage darf vom Erben eines Ehegatten weitergeführt, aber nicht eingeleitet werden (Art. 127 c.c.).
Rz. 17
Trotz minimaler Unterschiede in der Ausführung bleibt noch die Unterscheidung zwischen Nichtigkeits- und Anfechtbarkeitsgründen. Zur Nichtigkeit führen:
▪ |
Doppelehe und Doppelehe wegen irrtümlicher Erklärung der Todesvermutung; |
▪ |
Blutsverwandtschaft zwischen Aszendenten und Abkömmlingen in gerader Linie, leiblichen Geschwistern und Halbgeschwistern, sei es von mütterlicher oder väterlicher Seite, Schwägerschaft in gerader Linie (Art. 87, n. 1, 2, 4, 6, 7, 8, 9); |
▪ |
Verbrechen (Art. 88 c.c.). |
Rz. 18
Zur Anfechtbarkeit führen:
▪ |
Minderjährigkeit (Art. 84); |
▪ |
Entmündigung (Art. 85); |
▪ |
Geschäftsunfähigkeit (Art. 120); |
▪ |
Verwandtschaft, Schwägerschaft, Adoption (Art. 87, n. 3); |
▪ |
Willensmängel (Gewalt, Furcht, Irrtum über bestimmte Eigenschaften wie Krankheit, Straftaten, Schwangerschaft, Art. 122 c.c.). Die Klagebefugnis verjährt nach einjährigem Zusammenleben seit Beendigung der Gewalttat oder Entdeckung des Irrtums. |
Rz. 19
Selbstständiger Anfechtungstatbestand ist die Scheinehe (Art. 123 c.c.). Die Eheschließung ist zunächst wirksam, aber auf Antrag eines Ehegatten binnen eines Jahres seit Eheschließung aufhebbar, es sei denn, die Eheleute haben nach der Eheschließung (auch für kurze Zeit) als Ehegatten gelebt (Art. 123 Abs. 2 c.c.).
Rz. 20
Das Zivilgesetzbuch sieht unterschiedliche Voraussetzungen für die Klagebefugnis vor. Unter bestimmten Voraussetzungen sind auch Erben klagebefugt (Art. 126 c.c.). Die Nichtigkeitserklärung und die Anfechtung der Ehe entfalten Rückwirkung. Die Abkömmlinge behalten ihren Status als eheliche Kinder, es sei denn, die Ungültigkeit der Ehe beruht auf Doppelehe oder Inzest (Art. 128 Abs. 4 c.c.). Als vermögensrechtliche Folge bewirkt die Ungültigkeitserklärung auch die Ungültigkeit der ehebedingten Schenkungen, während die zur Erfüllung ehelicher Rechten und Pflichten erbrachten Leistungen unberührt bleiben. Der gesetzliche Güterstand wird aufgelöst und der Familienfonds (fondo patrimoniale) endet. Dies ist ausdrücklich für die Anfechtung geregelt, gilt aber auch für die Nichtigkeit der Ehe.
Rz. 21
Die Rückwirkung gilt nicht zu Lasten des gutgläubigen Ehegatten, d.h. desjenigen oder beider Ehegatten, die die Ehe eingegangen sind, ohne den Ungültigkeitsgrund zu kennen, sog. Putativehe (matrimonio putativo), vorausgesetzt die Ehe ist zivilrechtlich registriert (nicht bei rein religiöser Eheschließung). Das Gleiche gilt für den Ehegatten, der die Ehe unter Gewalt oder Furcht eingegangen ist (Art. 128 c.c.). Dies hat zur Folge, dass das Erbrecht erhalten bleibt, ebenso die Rechte an der Ehewohnung und am Hausrat und das Fortbestehen des Status als ehelicher Elternteil, nicht jedoch der Rentenanspruch gem. Art. 9 Abs. 1 und 3, Gesetz vom 1.12.1970, Nr. 898. Sind beide Ehegatten gutgläubig, steht dem bedürftigeren Ehegatten eine Alimentenrente (rendita alimentare) – begrenzt auf drei Jahre – zu (Art. 129 c.c.).
Rz. 22
Trifft einen der Ehegatten die Schuld an der Ungültigkeit der Ehe, hat der gutgläubige Ehegatte Anspruch auf Entschädigung, die mindestens der Unterhaltsrente entspricht, auch in diesem Fall für drei Jahre. Diese Entschädigung hat ein Dritter zu zahlen, wenn er die Schuld an der Ungültigkeit trägt. Der Dritte haftet solidarisch, wenn die Mitschuld eines der Ehegatten bewiesen ist (Art. 129 bis Abs. 3 c.c.). Wird Schuld nachgewiesen, ist der Ehegatte gegenüber dem gutgläubigen oder zur Ehe gezwungenen Ehegatten verpflichtet, eine zeitlich begrenzte Alimentenrente zu leisten (Art. 129 bis Abs. 1 c.c.). Abgesehen vom Fall der Gutgläubigkeit der Eltern finden bezüglich der Kinder die Regeln über die Trennung (Artt. 337 bis ff. c.c.) Anwendung.