Rz. 34
Besonders großen Umfang und besonders große Bedeutung hat die Rechtsprechung zum Unfall infolge von Alkohol-, Drogen- und/oder Medikamentenkonsum. Hat eine solche Einwirkung den völligen Leistungsausfall zur Folge, so fehlt von da an bereits der innere Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit (ständige Rechtsprechung; BSG, Urteil v. 28.6.1979, 8a RU 34/78). Mit anderen Worten: Der Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit ist gelöst. Das kommt allerdings nur dann in Betracht, wenn der Betreffende infolge Alkohols-, Drogen- oder Medikamentenkonsums keinerlei Arbeitsleistung mehr erbringen kann (z. B. infolge Volltrunkenheit).
Rz. 35
Führt der Alkohol-, Drogen- oder Medikamenteneinfluss nicht zum völligen Leistungsausfall, sondern lediglich zu einem Leistungsabfall, so besteht grundsätzlich der innere Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit; dann wird der ursächliche Zusammenhang gelöst, wenn nicht die versicherte Tätigkeit, sondern der alkohol-, drogen- oder medikamentenbedingte Zustand für den Unfall kausal geworden ist. Es handelt sich also dabei um die Frage nach dem Kausalzusammenhang. Dann ist im Einzelfall wertend zu entscheiden, ob statt der versicherten Tätigkeit Alkohol-, Drogen- oder Medikamenteneinfluss für den Unfall rechtlich wesentlich ursächlich geworden sind. Das ist dann der Fall, wenn der Unfall bei ansonsten gleicher Sachlage ohne diesen Einfluss nicht stattgefunden hätte. Die mit der versicherten Tätigkeit im Zusammenhang stehenden Umstände müssen in einem solchen Fall als unwesentlich in den Hintergrund treten (BSG, Urteil v. 30.1.2007, B 2 U 23/05 R).
Rz. 36
Dabei müssen alle für die wertende Entscheidung maßgeblichen Tatsachen mit Vollbeweis festgestellt werden. Das gilt sowohl für die Tatsachen wie etwa die quantitative Menge des Alkohols, der Drogen oder Medikamente, die der Betreffende zu sich genommen hat, als auch die damit zusammenhängenden sonstigen Umstände und schließlich auch für diejenigen Tatsachen, die auf andere Ursachen für den Leistungsausfall oder Leistungsabfall hindeuten. Allein die Feststellung, dass der Betreffende eine bestimmte Menge alkoholischer Getränke oder eine bestimmte Drogen- oder Medikamentendosis zu sich genommen hat, reicht ebenso wenig wie die Feststellung eines leichtsinnigen, übermütigen oder nachlässigen Verhaltens unmittelbar vor dem Unfall (z. B. Ausrutschen auf der Treppe: BSG, Urteil v. 25.11.1977, 2 RU 55/77). Die Auswirkungen einer bestimmten Alkohol-, Drogen- oder Medikamentendosis auf die körperliche (Rest-)Leistungsfähigkeit ist von der Konstitution des jeweiligen Konsumenten und von einer Fülle weiterer Faktoren abhängig. Daher sind alle Feststellungen in eine wertende Betrachtung einzubeziehen, die in die Feststellung der rechtlich wesentlichen Ursache einmündet. Typisch alkohol-, drogen- oder medikamentenbedingtes Verhalten wie Torkeln (BSG, Urteil v. 26.4.1977, 8 RU 92/76), Fahren in Schlangenlinien (BSG, Urteil v. 2.2.1978, 2 RU 66/77) o. Ä. können allerdings deutliche Indizien für eine nicht mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängende Ursache ergeben.
Rz. 37
Cannabiskonsum kann nur dann als allein wesentliche Ursache des Unfalls angesehen werden, wenn ein THC-Wert von mindestens 1 ng/ml festgestellt wurde und weitere Beweisanzeichen die drogenbedingte Fahruntüchtigkeit des Versicherten – ähnlich wie bei einer relativen Fahruntüchtigkeit mit einer BAK von unter 1,1 ‰ – belegen. Derartige Beweisanzeichen sind – wie sich aus der aufgezeigten Wirkung des Cannabiskonsums ergibt – zum Teil dieselben wie nach Alkoholgenuss, teilweise typischerweise auf Cannabiskonsum zurückzuführen: Gangunsicherheiten, Müdigkeit, Apathie, Denk-, Konzentrations-, Aufmerksamkeits- und Wahrnehmungsstörungen, leichte Ablenkbarkeit (BSG, Urteil v. 30.1.2007, B 2 U 23/05 R mit Hinweis auf BVerfG, Beschluss v. 20.6.2002, 1 BvR 2062/96; BGH, Urteil v. 3.11.1998, 4 StR 395/98).
2.2.5.1.1 Sonderfall: Straßenverkehr
Rz. 38
Bei Arbeits- und Wegeunfällen im Straßenverkehr sind Feststellungen zur Fahruntüchtigkeit von besonderer Bedeutung. Wird Fahruntüchtigkeit festgestellt, so spricht der erste Anschein nach der Erfahrung des täglichen Lebens dafür, dass dies die rechtlich wesentliche Ursache für den Unfall war, soweit nicht sonstige Ursachen deutlich erkennbar sind (sog. Anscheins- oder prima-facie-Beweis). Allerdings gibt es verlässliche und allgemein anerkannte Grenzwerte für das Vorliegen von Fahruntüchtigkeit oder Verkehrsuntüchtigkeit nur bei vorangehendem Alkoholgenuss. Die ständige Rechtsprechung des BSG (Urteil v. 31.8.1972, 2 RU 152/70; Urteil v. 28.6.1979, 8a RU 98/78; Urteil v. 25.11.1992, 2 RU 40/91) hat die Grundsätze der strafgerichtlichen Rechtsprechung des BGH (Urteil v. 18.6.1990, 4 StR 297/90) zur absoluten und zur relativen Fahruntüchtigkeit zugrunde gelegt.
Rz. 38a
In einer neueren Entscheidung hat das BSG (Urteil v. 13.11.2012, B 2 U 19/11 R) den der Wegeunfallversicherung immanenten Grundsatz in den Vordergrund gestellt, dass der Versicherungstatbestand des Abs. 2 Nr....