Leitsatz
Erzielt eine ausländische Betriebsstätte einen Verlust, muss dieser bei der inländischen Gesellschaft nicht zwingend zum Abzug gelangen. Dies hat jetzt der EuGH entschieden und darin keinen Verstoß gegen die EU-rechtliche Niederlassungsfreiheit gesehen. Sind Einkünfte einer Betriebsstätte nach den Regelungen in einem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) im Inland nicht zu erfassen, kann ein deutsches Unternehmen die Verluste der ausländischen Betriebsstätte nicht mit inländischen Gewinnen verrechnen, wenn die Verluste im Betriebsstättenstaat berücksichtigt werden.
Sachverhalt
Die deutsche Lidl Belgium GmbH & Co. KG hat in Luxemburg eine Betriebsstätte. Diese hat in 1999 einen Verlust erwirtschaftet, den die KG mit ihrem inländischen Gewinn verrechnen wollte. Dies wurde vom Finanzamt abgelehnt, da die Einkünfte aus der Betriebsstätte nach dem DBA Luxemburg freigestellt sind. Nach erfolgloser Klage hatte der BFH das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH vorgelegt, da die EU-rechtliche Niederlassungsfreiheit bzw. die Kapitalverkehrsfreiheit verletzt sein könnten (BFH, Beschluss v. 28.6.2006, I R 84/04).
Die Regeln im EG-Vertrag zur Niederlassungsfreiheit verbieten grundsätzlich, dass eine Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat behindert wird; dies gilt auch für eine Betriebsstätte in einem anderen Mitgliedstaat. Eine Einschränkung der Niederlassungsfreiheit kann aber zulässig sein, wenn dies durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. Dies wird vom EuGH bejaht, da die Regeln des DBA einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten dienen. Ferner wird damit auch eine doppelte Verlustberücksichtigung in zwei Staaten vermieden. Diese beiden Gründe sind geeignet, eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit für ausländische Betriebsstätten zu rechtfertigen. Da die Verluste der Betriebsstätte zudem bei der Besteuerung der Einkünfte der Betriebsstätte in nachfolgenden Jahren berücksichtigt worden sind, hat der EuGH entschieden, dass Art. 43 EG der Steuerfreistellung nach DBA nicht entgegensteht.
Die vorgelegte Rechtsfrage betrifft nur den Regelungsbereich des Art. 43 EG. Denn laut EuGH ist eine einschränkende Wirkung auf die Kapitalverkehrsfreiheit die zwangsläufige Folge einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und rechtfertigt damit keine zusätzliche Prüfung des Art. 56 EG.
Hinweis
Die Entscheidung bestätigt grundsätzlich die Steuersouveränität der Mitgliedstaaten. Für die Frage der Verlustberücksichtigung zwischen zwei EU-Staaten wird es damit generell zulässig sein, die Besteuerung einem der beiden Staaten nach einem DBA zuzuweisen. Allerdings muss der Verlust in diesem Staat dann auch tatsächlich mit Gewinnen verrechnet werden. Eine zeitliche Verzögerung im Rahmen eines Verlustvortrags ist unschädlich.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil v. 15.5.2008 – Rs. C-414/06, Lidl Belgium.