Leitsatz
Der EuGH hat entschieden, dass der Ausschluss der Verrechnung von Verlusten ausländischer Betriebsstätten durch ein Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) mit den EU-rechtlichen Grundfreiheiten vereinbar ist. Damit kann ein deutsches Unternehmen die Verluste einer ausländischen Betriebsstätte nicht mit inländischen Gewinnen verrechnen, wenn diese durch ein DBA in Deutschland von der Besteuerung freigestellt sind und im Betriebsstättenstaat zu besteuern sind.
Sachverhalt
Die deutsche Lidl Belgium GmbH & Co. KG hat in Luxemburg eine Betriebsstätte. Dort ist 1999 einen Verlust von 163.382 DM angefallen, den die deutsche KG mit ihrem inländischen Gewinn verrechnen wollte. Das wurde vom Finanzamt abgelehnt, denn die Einkünfte aus der Betriebsstätte seien nach dem DBA mit Luxemburg freigestellt. Nach erfolgloser Klage hatte der BFH das Verfahren ausgesetzt und diese Frage dem EuGH im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit und die Kapitalverkehrsfreiheit zur Vorabentscheidung vorgelegt (BFH, Beschluss v. 28.6.2006, I R 84/04).
Der EuGH führt aus, dass die vorgelegte Rechtsfrage den Regelungsbereich des Art. 43 EG betrifft. Eine einschränkende Wirkung auf die Kapitalverkehrsfreiheit wäre eine zwangsläufige Folge einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und rechtfertigt keine Prüfung nach Art. 56 EG.
Die Bestimmungen zur Niederlassungsfreiheit verbieten grundsätzlich, dass der Herkunftsmitgliedstaat die Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat behindert; dies gilt auch für eine Betriebsstätte in einem anderen Mitgliedstaat. Jedoch kann eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit zulässig sein, wenn dies durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. Dazu gehört eine ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten durch Regelungen zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung. Zudem wird durch die Regeln der DBA auch eine doppelte Verrechnung derselben Verluste in zwei Staaten vermieden. Diese beiden Rechtfertigungsgründe sieht der EuGH als geeignet an, eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit für ausländische Betriebsstätten zu billigen.
Da zudem die Verluste bei der Besteuerung der Einkünfte der Betriebsstätte für künftige Steuerzeiträume berücksichtigt werden können, hat der EuGH entschieden, dass Art. 43 EG der Steuerfreistellung nach DBA nicht entgegensteht. Damit kann nach der sog. Symmetriethese ein Verlust aus einer ausländischen Betriebsstätte im Inland unberücksichtigt bleiben.
Die Entscheidung bestätigt grundsätzlich die Steuersouveränität der Mitgliedstaaten. Hierbei sind insbesondere die folgenden Punkte für die Praxis hervorzuheben:
Konkretisierung der Rechtfertigungsgründe
Der EuGH hat in der Entscheidung auf sein Urteil "Marks & Spencer" (Az.: C-446/03) Bezug genommen und diese Rechtsprechung konkretisiert. Es müssen danach nicht zwingend alle der dort genannten dreiRechtfertigungsgründe (Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis, Vermeidung doppelter Verlustberücksichtigung und Verhinderung einer Steuerflucht) für eine zulässige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit gegeben sein; diese müssen nicht kumulativ vorliegen.
Beschränkung der Niederlassungsfreiheit
Die Generalstaatsanwältin hielt in ihrem Schlussantrag die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit für nicht mit Art. 43 EG vereinbar, da auch weniger restriktive Maßnahmen möglich seien um die verfolgten Ziele zu erreichen. Konkret geht es um den früheren § 2a Abs. 3 EStG. Danach konnte bis 1999 der von einer Betriebsstätte in einem anderen Mitgliedstaat erwirtschaftete Verlust abgezogen werden, soweit dieser die Gewinne der Betriebsstätte überstieg; dies jedoch vorbehaltlich einer Nachversteuerung in folgenden Veranlagungszeiträumen, in denen die Betriebsstätte wieder positive Ergebnisse erzielte. Dem ist der EuGH nicht gefolgt.
Berücksichtigung von Verlusten einer Tochtergesellschaft
Entscheidend ist die Frage, ob die Verluste einer Tochtergesellschaft bzw. einer Betriebsstätte letztlich unberücksichtigt bleiben oder ob diese zumindest in künftigen Steuerzeiträumen zum Abzug gelangen. Hierzu bietet das luxemburgische Steuerrecht die Möglichkeit die Steuerbemessungsgrundlage um vorherige Verluste zu mindern. Die Verluste der Betriebsstätte aus 1999 waren deshalb auch in 2003 mit Gewinnen der Betriebsstätte verrechnet worden.
Auswirkungen auf laufendes Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland
Das Urteil wird auch Auswirkung auf ein im Oktober 2007 von der EU-Kommission gegen Deutschland eingeleitetes Vertragsverletzungsverfahren haben, welches das Verbot des grenzüberschreitenden Verlustausgleichs in § 2a EStG betrifft. Innerhalb der EU dürfte es nach dieser Entscheidung nicht zulässig sein, einen Verlust in einem EU-Staat völlig unberücksichtigt zu lassen. Zumindest muss eine Verrechnung mit späteren positiven Einkünften in einem der betroffenen EU-Staaten gewährleistet sein.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil v. 15.5.2008, C-414/06, Lidl Belgium.