Dr. Wolf-Dietrich Deckert†
Leitsatz
Keine Bindungswirkung der Zustimmung zu einer baulichen Veränderung (hier: Balkonanbauten) wegen Irrtums (nach Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage)
Normenkette
(§ 22 Abs. 1 WEG; § 242 BGB)
Kommentar
1. In einer Eigentümerversammlung 1999 (ohne Erstellung einer Niederschrift) ging es um Zustimmungen der Eigentümer im Rahmen einer Vereinbarung über die nachträgliche Errichtung außen hängender Balkone durch zwei andere Eigentümer. Ein zunächst widersprechender Eigentümer soll dann sein Einverständnis unter gewissen Vorbehalten erklärt haben und zwar aufgrund der Äußerungen anderer Eigentümer in der Versammlung, dass die Angelegenheit auch durch Mehrheitsbeschluss geregelt werden könne, dem sich auch Widersprechende zu fügen hätten. Nach Widerspruch der einen Eigentümerseite im Jahr 2000 beantragten die änderungswilligen Eigentümer Feststellung, dass in der Versammlung 1999 auch von der zunächst widersprechenden Eigentümerseite grundsätzlich Einverständnis im Sinne allstimmiger (Vereinbarungs-) Zustimmung erteilt wurde.
Während das LG entgegen der amtsgerichtlichen Entscheidung diesen Antrag für begründet hielt, lehnte ihn der Senat ab.
2. Beruht die von einem zunächst widerstrebenden Eigentümer erklärte Zustimmung zu einer baulichen Veränderung auf der gemeinsamen Überzeugung der in der Versammlung anwesenden Eigentümer, die geplante bauliche Veränderung könne auch gegen den Widerstand des Einzelnen durch Mehrheitsbeschluss genehmigt werden, so können die Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage – wie auch hier – zum Wegfall der Bindungswirkung einer schuldrechtlichen, zunächst allstimmig getroffenen Vereinbarung führen.
Der Wegfall der Geschäftsgrundlage kann nach Treu und Glauben zu einer Anpassung eines schuldrechtlichen Vertrags oder auch zur Vertragsauflösung führen. Geschäftsgrundlage sind nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung die bei Abschluss des Vertrags zu Tage getretenen, dem anderen Teil erkennbar gewordenen und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der einen Partei oder die gemeinsamen Vorstellungen beider Parteien von dem Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt bestimmter Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien auf diesen Vorstellungen aufbaut (vgl. z.B. BGH, NJW 1997, 321, 323 m.w.N.). Eine anerkannte Fallgruppe des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ist der beiderseitige Irrtum in der Beurteilung der Rechtslage, wenn ohne diesen beiderseitigen Rechtsirrtum der Vertrag nicht, wie geschehen, geschlossen worden wäre. Der BGH hat dazu ausgeführt (BGHZ 25, 390, 393): "Eine Vertragspartei, die nach Aufklärung des Irrtums den Vorteil behalten will, der ihr im Widerspruch zu der wirklichen Rechtslage aus dem Vertrag zufließen würde, handelt regelmäßig wider Treu und Glauben. Das gilt besonders, wenn sie, sei es auch gutgläubig, der durch den Irrtum benachteiligten Vertragspartei die falsche rechtliche Beurteilung als die richtige hingestellt hat." Diese Grundsätze treffen auch vorliegend zu. Der in der Versammlung geäußerte Hinweis, dass es der Zustimmung der Beteiligten nicht bedürfe, weil die Anbringung der Balkone auch durch Mehrheitsbeschluss mit Bindungswirkung für sie genehmigt werden könne, entspricht nicht der Rechtslage; diese Äußerung war auch Geschäftsgrundlage der zustande gekommenen Vereinbarung. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 WEG können solche baulichen Veränderungen, die über eine ordnungsgemäße Instandhaltung oder Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgehen, nicht gem. § 21 Abs. 3 WEG beschlossen werden. Vorliegend ging es um massive bauliche Veränderungen, die der ausdrücklichen Zustimmung auch der widersprechenden Eigentümerseite bedurft hätte; ein gleichwohl gefasster Mehrheitsbeschluss hätte auf Anfechtung hin für ungültig erklärt werden müssen. Der widersprechenden Eigentümerseite war deshalb ein Festhalten an ihrer erklärten Zustimmung nicht zumutbar und zwar insbesondere im Hinblick darauf, dass ihre rechtliche Fehlvorstellung über die Zulässigkeit einer Mehrheitsbeschlussfassung über den vorliegenden Gegenstand durch die unrichtige Darstellung der übrigen Eigentümer bei der Erörterung in der Eigentümerversammlung hervorgerufen worden ist.
3. Keine außergerichtliche Kostenerstattung im Verfahren II. und III. Instanz bei einem Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens von 5.000 DM.
Link zur Entscheidung
OLG Hamm, Beschluss vom 13.12.2001, 15 W 279/01( OLG Hamm, Beschluss v. 13.12.2001, 15 W 279/01)
Diese Senatsentscheidung erscheint zumindest mir nicht unbedenklich, da hier einige weitere Rechtsfragen hätten behandelt werden müssen. Zunächst hätte erneut zwischen Beschluss und schuldrechtlicher Vereinbarung nach Inhalt, Gegenstand und Wille der entscheidenden Eigentümer differenziert werden müssen. War hier in der Versammlung von 1999 von einem allstimmigen Beschluss oder von einer allstimmigen schuldrechtlichen Vereinbarung auszugehen? Offensichtlich hat der Senat eine Vereinbarung angenommen. Die generelle...