Leitsatz
Der wegen eines Verbrechens nach § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB Angeklagte hatte die Zuverlässigkeit der Belastungszeugin bezweifelt, was sich aus deren Sorgerechtsakten ergebe. Die Strafkammer hatte bei drei Familiengerichten die Akten zu drei Sorgerechtsverfahren angefordert und teilweise auch erhalten. Nach Eingang dieser Akten wandte sich die Strafkammer erneut an die Familiengerichte und bat um Entscheidung darüber, ob die Kammer Akteneinsicht erhalten dürfe, ob die Verfahrensbeteiligten die Akten ausgehändigt bekommen und ob die Inhalte öffentlich erörtert werden dürften. Dies lehnten die drei Familiengerichte in unterschiedlichem Umfang weitgehend ab. Die Strafkammer hob daraufhin ihren Beschluss über die Beiziehung der Akten mit der Begründung auf, die Akten seien für die Kammer unerreichbar. Durch Schriftsatz eines Verteidigers hat der Angeklagte beantragt, die ablehnenden Bescheide der drei Familiengerichte aufzuheben und sie zu verpflichten, die Akten an die Strafkammer zu dem gegen ihn geführten Strafverfahren herauszugeben.
Sachverhalt
Siehe Kurzzusammenfassung
Entscheidung
Das OLG hielt den Antrag auf rechtliche Entscheidung gemäß § 23 EGGVG für statthaft und zulässig.
In der Sache selbst bestätigte das OLG die Ablehnung der Einsichtnahme in die Familiengerichtsakten für die Zwecke des Strafverfahrens. Zwar sei ein Antrags- und Beschwerderecht des Angeklagten gegeben, obgleich nur die Amtshilfe ggü. der Strafkammer abgelehnt worden sei, was ihn jedoch unmittelbar betreffe.
Die Übersendung der Akten und ihre Verwertung im Strafverfahren seien von den FamFG jedoch zu Recht abgelehnt worden. Die Verpflichtung zur Amtshilfe nach § 35 GG bestehe nach den insoweit geltenden Grundsätzen dann nicht, wenn die in den angeforderten Akten enthaltenen Informationen der Geheimhaltung bedürften. Dies sei hier der Fall. Schon das BVerfG habe in seiner grundlegenden Entscheidung vom 15.1.1970 (BVerfGE 27, 344 ff.) dahingehend erkannt, dass Akten über ein Ehescheidungsverfahren der Geheimhaltung unterlägen. Eine Einsichtnahme durch Dritte sei daher - vorbehaltlich der Zustimmung durch die Betroffenen - nur zulässig, wenn eine strenge Güterabwägung unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ein überwiegendes Allgemeininteresse an der Akteneinsicht ergebe.
Bei einem Sorgerechtsverfahren sei darüber hinaus zu berücksichtigen, dass es sich hierbei um Amtsverfahren handele, in denen der Staat zum Schutz höherrangiger Rechtsgüter in den Bereich der innersten Privatsphäre eindringe, der grundsätzlich der staatlichen Einflussnahme weitgehend entzogen sei. Die aktenkundigen Informationen würden weniger freiwillig von den Beteiligten vorgetragen als durch Aufklärung im Rahmen der Amtsermittlung zusammengetragen. Den auf diese Weise gewonnenen Informationen müsse höchster Geheimhaltungsschutz zukommen.
Hinweis
Zu Recht sind die Akten der Familiengerichte für Dritte weitgehend unerreichbar. Interna der Eheleute und erst recht die Angelegenheiten von Kindern sind für Außenstehende regelmäßig tabu.
Die Einsichtnahme in die Akten des Familiengerichts ist seit dem 1.9.2009 in § 13 FamFG geregelt für Beteiligte und andere Personen. Die Akteneinsicht durch Justizbehörden unterliegt weiterhin den Regeln der Rechtshilfe, so dass grundsätzlich die Einsicht nehmende Stelle den Geheimnisschutz zu beachten hat. Nach den Vorgaben des BVerfG dürfte dies hinsichtlich der Akten der FamG nicht ausreichend sein. Schon die FamG selbst haben sorgfältig zu prüfen, ob sie die Akten an ein anderes Gericht herausgeben dürfen.
Link zur Entscheidung
OLG Hamm, Beschluss vom 08.08.2008, 15 VA 7-9/08