Leitsatz
- In Ermangelung einer spezifischen Gemeinschaftsregelung ist es Sache der Mitgliedstaaten, die Regeln und Methoden für die Rundung der Mehrwertsteuerbeträge zu bestimmen; dabei müssen sie darauf achten, dass die Grundsätze, auf denen das gemeinsame Mehrwertsteuersystem beruht, insbesondere die Grundsätze der steuerlichen Neutralität und der Proportionalität, eingehalten werden.
- Das Gemeinschaftsrecht enthält bei seinem derzeitigen Stand keine spezifische Verpflichtung, wonach die Mitgliedstaaten den Steuerpflichtigen die Abrundung des Mehrwertsteuerbetrags pro Artikel gestatten müssen.
Problematik
Eine Niederländische Gesellschaft (BV), die zur Ahold NV gehört, betreibt Supermärkte, in denen sie ein klassisches Sortiment von Lebensmitteln und anderen Produkten anbietet. Bei der Berechnung der Mehrwertsteuer für die Verkäufe in ihren Supermärkten stützte sich die BV üblicherweise auf den Gesamtbetrag des Kassenbons (oder "Warenkorbs") für die von einem Kunden gleichzeitig gekauften verschiedenen Artikel.
Jeder der auf den Kassenbons ausgewiesenen Beträge wurde mathematisch auf volle Eurocent gerundet. Die Beträge, bei denen die dritte Dezimalstelle die Ziffer 5 oder eine höhere Ziffer ist, werden auf den nächst höheren Betrag in vollen Eurocent aufgerundet und die Beträge, bei denen die dritte Dezimalstelle niedriger als die Ziffer 5 ist, auf den nächst niedrigeren Betrag in vollen Eurocent abgerundet.
In zwei ihrer Filialen wurde jedoch eine andere Methode angewandt. Dabei ermittelte sie den Betrag dieser Steuer nicht pro Kassenbon, sondern getrennt für jeden einzelnen an den Kunden verkauften Gegenstand, wobei sie den so ermittelten Betrag zum nächstniedrigeren Betrag in vollen Eurocent abrundete.
Die BV errechnete so, dass sie nach dieser Methode der Abrundung pro Artikel für diese beiden Filialen im Streit-Zeitraum (Oktober 2003) 1.414 EUR weniger Steuern hätte zahlen müssen, als sie gemäß ihrer üblichen Praxis der Rundung pro Kassenbon angemeldet und tatsächlich entrichtet hat. Sie beantragte die Erstattung des Betrags ohne Erfolg.
Im Lauf des Rechtsstreits richtete der Hoge Raad der Nederlanden ein Vorabentscheidungsersuchen mit folgenden Fragen an den EuGH:
- Gilt in Bezug auf die Rundung von Mehrwertsteuerbeträgen ausschließlich das nationale Recht, oder ist dies - insbesondere unter Berücksichtigung von Art. 22 Abs. 3 Buchst. b 10. Gedankenstrich und Abs. 5 sowie von Art. 11 Teil A der Sechsten EG-Richtlinie - eine Angelegenheit des Gemeinschaftsrechts?
- Wenn Letzteres der Fall sein sollte: Folgt aus den genannten Richtlinienbestimmungen, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die Rundung pro Artikel nach unten zuzulassen, auch wenn verschiedene Umsätze auf einer einzigen Rechnung aufgeführt werden und/oder in einer einzigen Steuererklärung enthalten sind?
Entscheidung des EuGH
Die Antwort des EuGH ergibt sich aus den Leitsätzen. Zur zweiten Frage wies der EuGH darauf hin, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung keine Anforderung in Bezug auf die Anwendung einer bestimmten Rundungsmethode stellt, soweit die vom betreffenden Mitgliedstaat angewandte Methode gewährleistet, dass der von der Steuerverwaltung erhobene Mehrwertsteuerbetrag genau dem auf der Rechnung ausgewiesenen und vom Endverbraucher an den Steuerpflichtigen gezahlten Mehrwertsteuerbetrag entspricht.
Die Einhaltung des Grundsatzes der Proportionalität setzt zwar voraus, dass eine Rundung, wenn sie erforderlich ist, so durchgeführt wird, dass der gerundete Betrag soweit wie möglich dem Mehrwertsteuerbetrag entspricht, der sich bei Anwendung des geltenden Satzes ergibt. Doch soll die Rundung ihrem Wesen nach die Berechnung erleichtern, sodass das Erfordernis einer möglichst genauen Proportionalität mit den praktischen Bedürfnissen einer effektiven Anwendung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems in Einklang zu bringen ist, das auf dem Grundsatz der Abgabe einer Erklärung durch den Steuerpflichtigen beruht.
Konsequenzen für die Praxis
Soweit in Deutschland die Umsatzsteuer betreffende Abrundungen oder Aufrundungen bei der Berechnung der Steuer im Rahmen der Umsatzsteueranmeldungen vorgesehen sind – z.B. die Angabe der Bemessungsgrundlage für die Umsätze nur mit dem vollen Euro-Betrag – ist das danach nicht zu beanstanden. Die Aufzeichnungsregelungen (§ 22 UStG) enthalten insoweit keine Aussagen, ebenso wenig die Buchführungsvorschriften der AO. § 156 AO enthält eine Ermächtigung zur Einführung von Verwaltungsvereinfachungen bei der Steuerfestsetzung durch Verordnungen. Diese wird allgemein auch als Ermächtigung zur Regelung von Abrundungsregeln verstanden. Allerdings ist diese Ermächtigung im Wesentlichen nur durch die sog. Kleinbetrags-VO i.d.F. v. 10.12.2000 (BGBl 2000 I S. 1790) ausgefüllt, die sich nicht mit der Abrundung von Umsatzbeträgen befasst.
Hinzuweisen ist noch auf das anhängige EuGH-Verfahren C-302/07, in dem es um die Fragen geht, ob sich das Runden von Mehrwertsteuerbeträgen ausschließlich nach nationalem Recht oder nac...